Herwig Reiter

Sonderpreis
Musikpädagogik

Lehren als Ausgangspunkt

Herwig Reiter läßt sich getrost als musikalischer Universalist apostrophieren. Schließlich ist er nicht nur Ordinarius für Dirigieren an der Musikpädagogik-Abteilung der Wiener Musikhochschule, sondern immer wieder auch als Dirigent tätig, er hält, selbstredend, eine Vielzahl von Vorträgen, wird immer wieder zu Publikationen eingeladen und hat zudem alle Hände voll zu tun, die von ihm künstlerisch verantwortete sommerliche ,,Musikfabrik“ im nahe Zwettl gelegenen Edelhof zu einem wirklichen Erfolg zu machen. Nicht zu vergessen aber ist auch Reiters ORF-Engagement, präsentiert er doch sehr häufig die blau-gelbe Donnerstagabendsendung ,,So singt man in Niederösterreich“, was ihm dann auch erlaubt, sich seine allgemeinen Gedanken zum Musikland Niederösterreich zu machen. Dennoch, ganz so, wie es vorerst den Anschein hat, ist es nicht, denn was auch immer Reiter angeht, stets ist es von seinem pädagogischen Engagement geprägt, das ihm freilich gleichsam schon in die Wiege gelegt wurde. Denn sein Vater war einerseits Lehrer und andererseits ein nicht nur für Niederösterreich wesentlicher Komponist, seine Mutter unterrichtete Klavier, was dann auch dazu führte, daß der kaum Vierjährige nicht nur mühelos den Beginn von Mozarts populärer „Sonata facile“, KV 545, vorexerzieren konnte, sondern es ihm gleichfalls keine Mühe machte, dies auch noch in den jeweils gewünschten Tonarten zu tun. Womit dann auch schon der folgende musikalische Weg vorgezeichnet war, also die frühe Mitwirkung bei den Wiener Sängerknaben und anschließend beim Chorus Viennensis, der gleichfalls den künstlerischen Leiter dieser traditionsreichen Wiener Musikinstitution, Ferdinand Grossmann, zu seinem prägenden Leiter hatte. Und Grossmann war es dann auch, der den 1941 in Waidhofen an der Thaya geborenen Herwig Reiter in die erste musikalische Position hievte. Ehe es dazu kam, war aber noch die Matura am BG Wien VIII zu absolvieren und anschließend, an der Wiener Musikhochschule, Musikerziehung und Klavier sowie an der Universität Germanistik zu inskribieren, denn schließlich war Reiter schon damals klar, daß er in die Musikpädagogik einsteigen wollte. Selbstredend studierte der von frühester Jugend an aktives Musizieren gewöhnte Herwig Reiter all dies nicht nur theoretisch, sondern tat sich auch musikalisch aktiv hervor, wie etwa bei Rene Clemencic und seiner Musica antiqua, dem von Xaver Meyer geleiteten Akademiekammerchor oder im Streicherorchester von Gretl Biedermann, die übrigens seine Tante ist. Darüber hinaus wirkte er dann noch als Regenschori in Hietzing und war dabei, auch als Pianist Karriere zu machen, ehe er – knapp vor Beendigung seiner Studien- von Ferdinand Grossmann als Reisekapellmeister der Wiener Sängerknaben engagiert wurde. Unmittelbar nach diesem, nicht zuletzt durch die stete Unterweisung durch Grossmann wertvollen praktischen Einsatz beendete Reiter einmal sein Studium und ging als Musikerzieher an die Bundeserziehungsanstalt für Mädchen in Wien 111, wo er rasch zum Mitbegründer des sogenannten ,,musischen Zweigs“ wurde, also einer Schulform, in der Musik und bildende Kunst eine gleichermaßen zentrale Rolle spielen und die dann auch an anderen Gymnasien mit Erfolg ausprobiert und schließlich vom zuständigen Bundesministerium für Unterricht institutionalisiert wurde. Reiter machte hier aber auch gleich mit einem anderen Projekt Furore, nämlich mit seinem, aus den Schülerinnen dieser Anstalt gewonnenen ,,Wiener Mädchenchor“, wo er auch sehr der chorischen Improvisation das Wort redete. Dann stieg Reiter, selbstverständlich zusätzlich zu seinem Lehrberuf, sehr bei den eben erst ins Laufen gekommenen ,,Grafenegger Schloßkonzerten“ ein, für die er Purcells ,,Dido und Aeneas“, aber auch Webers ,,Oberon“ oder die Bachsehe Johannespassion musikalisch ganz mustergültig betreute. Mitten aus dieser Arbeit wurde Reiter dann durch den Ruf, an einem Musiklehrwerk zum Unterricht an höheren Schulen führend mitzuarbeiten, herausgerissen. So entstanden, zusammen mit Peter Altmann, die hervorragenden Bände „Hören und Gestalten“ und ein Liederbuch für die Unterstufe sowie die Oberstufenwerke „Musikstudio“, die weit über Österreich hinaus Beachtung fanden und finden. Selbstredend, daß damit auch schon der Weg für Reiters weiteren beruflichen Aufstieg vorgezeichnet war, nämlich zum Lehrbeauftragten für Schulpraktikum an der Wiener Musikhochschule. Zugleich versicherte man sich aber auch vielfältig der Kompetenz des Stimmbildners Herwig Reiter, so bei der Kremser Chorakademie, im Sängerbund oder in Spittal an der Drau, wozu sich dann auch noch eine Tätigkeit als Juror- u. a. beim Bundesjugendsingen oder beim renommierten Internationalen Chorwettbewerb Porcia- dazuschlug. Anfang der achtziger Jahre setzte Reiter dann zu einem spektakulären pädagogischen Versuch an: Er übersiedelte als Musikpädagoge ans Waidhofner Gymnasium und hielt sein Musikhochschulpraktikum als Seminar in jenem Bauernhof ab, der ihm damals als Wohnstatt diente, was ihm dann auch ermöglichte, seine Studenten einzuquartieren. Wer Reiters Intentionen auch nur einigermaßen kennt, weiß auch schon um die Wichtigkeit solcher Zusammenkünfte, ermöglichen sie doch exakt jene Projekte, um die es Reiter immer wieder geht, nämlich nicht nur das intensive gemeinsame Erarbeiten theoretischer Themata, sondern auch gleich das unmittelbare Umsetzen in die gestalterische Praxis, zumal es sich Reiter zur Aufgabe gemacht hat, aus seinen jeweiligen Studierenden stets Ensembles von Qualität zu formen. Und daß ihm dies durchaus gelingt, davon zeugen nicht nur inländische Erfolge, sondern auch Einladungen, die ihn mit seinen musikalischen Kombattanten bereits nach Japan, aber auch Südtirol und Frankreich führten. Ausgangspunkt aller dieser musikalischen Bemühungen also ist und bleibt die Musikpädagogik, und demnach macht sich Reiter fortwährend seine Gedanken um eine gemäße Musikerziehung hierzulande. Allgemeingültige Rezepte dafür gibt es freilich nicht, wohl aber sehr überlegenswerte Ansätze zu Neuorientierungen: Denn liegt es nicht auf der Hand, daß Jugendliche wohl auch deshalb den klassischen Musikunterricht ablehnen, weil sie ansonst von ganz anderer Musik umgeben sind und nicht selten die Musik nur mehr als Quelle selbstverständlicher Berieselung sehen? Und muß es eben auch deshalb nicht sehr zu denken geben, daß bei manchen etwa das gemeinsame Erarbeiten eines eigens für eine Klassen- oder Schulgemeinschaft geschriebenen Musicals oft erst den rechten Einstieg für ernsthafte musikalische Beschäftigung darstellt? Mit anderen Worten: Herwig Reiter versucht nicht nur bewußt aus gegenwärtiger Perspektive zu einer möglichen Antwort, praktisch wie theoretisch, auf alle diese Fragen zu kommen, sondern ist – nicht zuletzt seiner Niederösterreich-Affinität wegen- damit auch der logische Träger des blau-gelben Preises für Musikpädagogik

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1988