Herwig Reiter

Musik
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Wohltuend eigenartig und einfallsreich

Zeitgenossen haben es schwer – aber keine Ausnahme ohne Regel. Herwig Reiter ist eine solche. Was immer er als Musiker anpackte, stets stieß er auf positive Resonanz – egal ob als Komponist, Lehrer oder Interpret. Dass er Musiker werden würde, stand für Herwig Reiter, 1941 in Waidhofen an der Thaya geboren, von Beginn an fest. Schon im Vorschulalter konnte er mühelos eine Mozart-Klaviersonate von einer Tonart in eine andere spielerisch transponieren. Damit war die Laufbahn vorgegeben: Wiener Sängerknabe, Matura an einer Wiener AHS, Studium der Musikerziehung an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien und der Germanistik an der Universität Wien.
Zunächst machte Herwig Reiter als Pädagoge auf sich aufmerksam, indem er mit seinem Kollegen Peter Altmann Liederbücher für die Unter- und Oberstufe der Gymnasien edierte. Längst ist er auch als Komponist anerkannt. Spätestens seit dem Erscheinen seines zweibändigen Chorbuchs, an dem er von 1999 bis 2004 arbeitete, gibt es praktisch keinen Chorleiter mehr, der am Komponisten Herwig Reiter vorbei kann. „Sämtlichen Stücke gemeinsam ist, dass sie stets eine zeitgemäße Musiksprache mit praktischer Machbarkeit zu verbinden suchen. Dabei wird in den beiden Bänden jeweils auf stilistische Vielfalt – vom Gstanzl bis zur Jazznummer, von der Parodie zur Meditation, vom Liebeslied bis zum Politchanson – besonderer Wert gelegt“, urteilt Herbert Lauermann, selbst renommierter Komponist und lange Jahre Herwig Reiters Kollege an der „Musikuniversität“. Obwohl Herwig Reiter nicht mehr an der Universität unterrichtet, wirken noch viele seiner Projekte nach. So gründete er 1983 den Kammerchor der Universität für Musik und darstellende Kunst, 1985 das Ensemble „Wiener Vokalisten“, 1988 das „Junge Orchester Wien“ oder 1994 das Ensemble für interessante Musik „i.m.p.u.l.s.e“. Mit diesen Formationen warb der ausgewiesene Spezialist für die grafisch notierte Musik von Anestis Logothetis im In- wie Ausland für die zeitgenössische Musik, führte Werke zahlreicher junger Österreicher auf – und das ohne musikideologische Schranken. 1988 erhielt Herwig Reiter einen Förderungspreis für Musikpädagogik des Landes Niederösterreich. Geehrt wurde er für seine Leistungen als Referent bei Chorkursen, für die künstlerische Verantwortung bei der sommerlichen „Musikfabrik“ am Edelhof nahe Zwettl sowie für sein Engagement bei den Anfängen in Grafenegg, wo er Henri Purcells „Dido und Aeneas“, Johann Sebastian Bachs „Johannespassion“ oder eine Aufführungsserie von Carl Maria von Webers „Oberon“ dirigierte. 2001 wurde der international anerkannte Chorfachmann mit dem „Erwin-Ortner-Fond zur Förderung der Chormusik“ ausgezeichnet, 2003 mit dem Würdigungspreis der Republik. Seit 2002 präsidiert er die Jury des Internationalen Chorwettbewerbs Spittal an der Drau.
Blättert man in seinem Werkverzeichnis, dann findet sich darin unkonventionell besetzte Kammermusik, eine Messe, eine Kantate nach einem Ingeborg-Bachmann-Text, ein Cellokonzert, ein vertontes Grimm-Märchen und – nicht zu vergessen – die Pflichtstücke, die er seit Jahren für die Österreichischen Bundesjugendsingen komponiert. Singbare Melodik, tonale Harmonik, auf Sprachfluss basierende Rhythmik, überschaubare Form, direkter Textbezug, Ausdruck positiver Gefühle, unmittelbare Verständlichkeit – auf all das legt der vor allem in seinem Refugium auf der Insel Samos schaffende Herwig Reiter Wert. Für ihn sind die genannten Phänomene keineswegs beliebig ersetzbare Stilmerkmale überkommener Epochen, sondern zentrale Anliegen der menschlichen Kommunikationsform Musik, die es in jeder Epoche weiterzuentwickeln gilt. Nur mit nachvollziehbar gestalteten Tonfolgen lassen sich differenzierte Botschaften übermitteln, zeigt sich Herwig Reiter unbeirrbar überzeugt. „Wohltuend eigenartig und einfallsreich“ bezeichnete Johannes Prinz einmal das Œuvre Herwig Reiters. Besser könnte man seine vielfältige wie bescheidene Persönlichkeit auch nicht charakterisieren.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2007