Lesen mit dem Messer
Jochen Höller, 1977 in Amstetten geboren, zählt zu den markanten Konzeptkünstlern der österreichischen Gegenwartskunst. Nach seinem Studium der Bildhauerei an der Kunstuniversität Linz entwickelte er eine künstlerische Praxis, die auf der radikalen Transformation von Büchern basiert: Er verwendet sie nicht als Lesestoff, sondern als materiellen Ausgangspunkt – als Quelle, Rohstoff und Denkraum zugleich.
„Texte sind meine Basis, Bücher sind mein Material“, sagt Höller dazu. Mit chirurgischer Präzision seziert er Wörter, Satzzeichen oder Textfragmente aus philosophischen, ökonomischen oder literarischen Werken. Gezielt wählt er Bücher aus, die als Teil gesellschaftlicher Macht- und Wissenssysteme unser Denken prägend mitgestaltet haben. Aus den mit einem Stanleymesser extrahierten Buchauszügen entstehen filigrane Papierarbeiten, skulpturale Objekte oder raumgreifende Installationen, die über das Sprachliche hinaus die dahinterliegenden kulturellen, religiösen und politischen Strukturen thematisieren.
Höllers Werke verbinden konzeptuelle Strenge mit poetischer Leichtigkeit. Sie sind zugleich analytisch und sinnlich, fragend und formal diszipliniert. Sie wurden bereits in zahlreichen Ausstellungen präsentiert und mit mehreren Auszeichnungen gewürdigt. Die Jury ehrt ein konsequent forschendes OEuvre, das in einer zunehmend digitalen Welt das Analoge als geistigen Erfahrungsraum in den Mittelpunkt rückt und dabei eine unverwechselbare künstlerische Sprache findet.
Gerda Ridler