Alles ist möglich, aber nichts wirklich. Möglich. Nicht wirklich
/orsicht beim Lesen! Denn der Leser wird Opfer des Autors. Zumindest in Jörg Kalts jüngster Arbeit, dem 40-Minuten Krimi Lesen macht tot und das, obwohl er selbst ein leidenschaftlicher Schreiber ist und den Leser braucht, damit sein Werk existiert. Doch das ist nur eines der unterhaltsamen Paradoxa, mit denen Jörg Kalt genüsslich die Erwartungen und Fantasien des Zuschauers in seinen Filmen irritiert oder seinen künstlerischen Werdegang illustriert. Die Anfänge klingen nach Chaos. Nicht nur weil der 33-jährige Filmemacher aus der Schweiz für seine Aufnahmeprüfung an der Wiener Filmakademie einen Aufsatz über die Chaostheorie abzuliefern hatte, der allein schon durch sein zerzaustes Erscheinungsbild überzeugte. Zuvor schon war seine Laufbahn alles andere als bemessenes Kalkül. Das Semester an der Prager Filmschule, das ihm das Tor zum Filmemachen öffnete, hatte sich eher zufällig angeboten. Zu einem Zeitpunkt, als er-bis dahin als Journalist tätig- gerade die Zeit und das Geld dafür hatte. Denn das Zürcher Magazin Aha!, ein anarchistisches wie provokantes Heft, wo Kalt als fixer Redakteur seiner Schreiblust freien Lauflassen konnte, war nach wenigen Nummern gezwungen, wieder zu schließen – sowohl Inserenten als auch Leser waren nach und nach ausgeblieben. Der für ausländische Studenten an der Prager Filmschule ausgeschriebene Filmlehrgang klang verheißungsvoll, hielt zwar deutlich weniger als er versprochen hatte, dennoch blieb der Filmstudent nach dem Kurs noch ein ganzes Jahr an der Moldau, bemühte sein Erbe und war es nach der Realisierung seines Regiedebüts, dem 30-Minuten StreifenEternity Starts Here, auch schon wieder los. Was auf alle Fälle dort seinen Anfang nahm, war Jörg Kalts Auseinandersetzung mit der Welt der Bilder. Dass seine kreativen Wurzeln im Schreiben liegen, will er dennoch betont wissen. ,,Ich hatte immer das Gefühl, einigermaßenvisuell zu beschreiben, das hat sich gegenseitig befruchtet“ erklärt der Filmemacher, der nach wie vor auch als Kolumnenautor in der Zeitschrift du zu lesen ist, ,,meine Filme entstanden oft aus einer Kolumne, die auf einer kurzen, tatsächlichen Begebenheit fußen“. Seine aus einem kurzen Moment der Wirklichkeit inspirierten Geschichten zieht er jedoch zur Gänze in die Welt der Fiktion. In Anlehnung an eine französische Schriftstellergruppe, die eine Werkstatt für potentielle Literatur schuf, ist auch Jörg Kalt ein Erzähler von Möglichkeiten anstatt von Wirklichkeiten: ,,Ich versuche Dinge zu machen, die möglich sind, die aber in sich selber ein Regelwerk konstituieren, nach dem der Film auch funktioniert, wenn man sich darauf einlässt. Sie funktionieren aber nicht, wenn man sie auf eine wahre Wirklichkeit adaptiert“. Ob nun die lakonisch-makabren Auswüchse eines versuchten Leichentransports von Wien nach Moskau in Meine Mutter war ein Metzger, oder die mysteriöse Mordserie unter Büchernarren in Lesen macht tot, Kalts Erzählstil bemüht sich weder um das Sichtbarmachen von Innenwelten, noch versucht er, Identifikationsfiguren zu schaffen. Seine in strengem Schwarzweiß gehaltene und stark mit Kontrasten arbeitende Handschrift setzt klare Konturen und grenzt die in sich geschlossenen, fiktiven Welten gegenüber der des Zuschauers deutlich ab. Nicht zuletzt auch durch die Sprache, deren literarisch präzise Dialoge im Falle von Lesen macht tot keiner Alltagssprache entspringen und gerade deshalb wieder stimmig sind oder die in Meine Mutter war ein Metzger größtenteils russisch ist und den Zuschauer, liest er nicht die Untertitel, ausschließt. Der Tenor von Ironie und Grausamkeit geht auf seinen Schweizer Lieblingsautor Friedrich Dürrenmatt zurück: Von ihm übernahm er das Prinzip der schlimmstmöglichen Wendung, ohne die eine Erzählung nicht vollendet sein kann, und ein explizites Ende hat Kalt zur conditio sine qua non seiner Erzählweise erhoben. Umso neugieriger darf man auf sein erstes Langfilmprojekt sein, das er, wenn auch eher monochrom, so doch in Farbe drehen wird und von der Begegnung und Trennung zweier Liebender erzählt. Soviel sei verraten: ,,Die Geschichte hat Anfang und Ende, aber es ist immer dasselbe und es gibt weder Anfang noch Ende“.