Josef Haslinger

Literatur

Die Stimme erheben

Politisches Einmischen hat in Österreich leider keine ausreichende Tradition. Zu unbesorgt, zu häufig werden politische Entscheidungen jenen Menschen überlassen, die sich berufsmäßig als Politiker empfinden und daher nicht selten meinen, sie allein wären im Besitz der alle seligmachenden Wahrheit. Josef Haslinger ist ein engagierter Autor, der in seinem Werk den gemessen an ihren eigenen Aufstiegshoffnungen zu kurz gekommenen, den durch die Räder einer Konkurrenzgesellschaft zerdrückten Individuen seine Stimme leiht. Er hat sich nie auf das Literarische allein beschränkt. Er hat analysierend, kommentierend und ironisierend öffentlich Stellung bezogen. Das war bei der für die österreichische Mentalhygiene notwendigen und gleichzeitig doch auch unappetitlichen Waldheim-Affäre so. Selbst manche der Befürworter dieses umstrittenen Bundespräsidenten anerkannten die ausgewogene und fundierte Haltung Haslingers. Das war bei seiner Mitarbeit von SOS-Mitmensch so, als in der Bundesrepublik Deutschland die Heime brannten und in Österreich ein Volksbegehren zeigte, daß mit fremdenfeindlichen Äußerungen noch immer allzu erfolgreich zu operieren ist. Und das war bei der Diskussion rund um den Beitritt Österreichs zur EU so, als manche Politiker den Künstlern ihre zu bewältigenden Aufgaben stellten: verhindert Krieg, sichert Arbeitsplätze und schafft die Voraussetzungen für den Beitritt Osteuropas in die EU. Haslinger meldete sich bei einer dieser Veranstaltungen zu Wort, bei denen die Befürchtungen der Künstler, ein Beitritt Österreichs zur EU könnte die ohnehin grauenhaften Bedingungen noch verschlechtern, ausgeräumt werden sollten, und sagte, die Verhinderung von Krieg könne wohl von Schriftstellern nicht ernsthaft verlangt werden, auch die Schaffung von Arbeitsplätzen übersteige deren Möglichkeiten, und Entwicklungspolitik im europäischen Maßstab sei sicherlich nicht Aufgabe von schreibenden Menschen. Welche Aufgaben den Schreibenden tatsächlich zukommen können und was rechtens auch zu verlangen ist, belegt das bisherige Werk des 1955 in Zwettl geborenen Autors.
Er stammt aus dem Waldviertel, einer an sich armen Gegend, in der die Menschen wahrscheinlich zwangsläufig härter sein müssen als anderswo. Diese Randlage war verschärft durch den Eisernen Vorhang, der die Grenze zur nahen und gleichzeitig fast unerreichbaren Tschechoslowakei bildete. Er selbst berichtete in einem Interview. Seine Kindheit ,,war angefüllt mit Arbeit, die ich nicht mochte. . .. Ein Schwächling war ich und wurde schnell müde. Die Kupplung des Traktors konnte ich mit meinem eigenen Körpergewicht nicht durchdrücken, ich musste am Lenkrad ziehen, als wollte ich es ausreißen.“
Nach solchen Eindrücken ist es noch bewundernswerter, wenn Haslinger kein Schriftsteller geworden ist, der sich mit der Beschreibung des eigenen Weh und Achs begnügt, sondern ein präzise schreibender und denkender Autor, der die Bedingungen des Handelns in einem sozialpartnerschaftlich geprägten Österreich analysiert. Für ihn muss Literatur mehr sein als das bloße Bedienen der gewöhnlichen Bahnen des Literatur- und Kulturbetriebs, der sich vorwiegend an Marktschemata orientiert und dabei vergisst, dass Kunst mehr sein muss, als für den Markt rekuperable Objekte.
Und wer durch die geistige Enge so mancher Waldviertler Erfahrung gegangen ist, wird bei allem Verständnis, warum die Menschen so und nicht anders sind, nicht umhin können zu erkennen, dass die Gefühle über das Wissen dominieren. Vielleicht ist diese Erfahrung der frühen Jugend eine Wurzel, sich mit der österreichischen Nachkriegsgeschichte zu beschäftigen und die Legitimationskrise des Systems, in dem wir leben, zu charakterisieren. „Die Politik der Gefühle ist wie ein Feuerwerk: entzündete Gegenwart, die keine Vergangenheit kennt. Sie ist die Meisterschaft des erinnerungslosen Hier und Jetzt. Sie pendelt zwischen einem Unterhaltungsgewerbe und einem Verschönerungsverein, der seinen Erlös in die Verwüstung reinvestiert.“
Haslinger wird zu Recht zu den politisch engagierten Autoren wie Peter Turrini, Michäl Scharang, Gernot Wolfgruber und Helmut Zenker gezählt, die als Antwort auf die formalen Avantgardismen der Wiener Gruppe zu schreiben begonnen haben. Doch im Gegensatz zur Wiener Gruppe, die durch Zerstörung, Aufhebung und Zertrümmerung der Sprache das Herrschaftsinstrument der Mächtigen aufgehoben haben, und dadurch indirekt die Machthaber aus ihrer Position zu entfernen suchen, ist die Kritik anscheinend in die Sprachgewohnheiten der Mächtigen verpackt. Die Literatur bedient sich also scheinbar der herrschenden Sprache, um Verhältnisse bloßzulegen. Der Kritiker Ulrich Weinzierl nannte die Sprache Josef Haslingers „scheinbar kunstlos“.
In dieser scheinbar kunstlosen Sprache behandelt Haslinger einerseits Schicksale, wie schon zuvor gesagt, von zu kurz gekommenen, andrerseits stellt er die wichtige Frage nach dem Verhältnis des Schreibenden mit der zu beschreibenden Wirklichkeit. Anders gesagt: Realistisch schreiben ist die Voraussetzung, um verstanden zu werden, doch wie stellt der Schreibende die vermittelte Wirklichkeit dar?
Diese drei Komponenten, die einander bedingen, machen für mich den Reiz der Arbeit von Josef Haslinger aus. Er ist auch darin, wenn ich ihm nicht zustimme, für Denkanstöße gut, und seine Äußerungen sind auch dann, wenn ich zu anderen Interpretationen komme, von einer ehrenwerten Haltung getragen, der Respekt zu zollen ist. Haslinger ist in sympathischer Weise weder Bürgerschreck noch Hausdichter, weder Avantgardist noch Strukturkonservativer, er ist Autor im besten Sinne des Wortes.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1994