Josef Haslinger

Literatur
Image

Der Weltverhandler

Josef Haslinger verkörpert einen in Österreich neuen Typus von Schriftsteller. Er ist kein Bewohner des Elfenbeinturms, kein Befindlichkeitstheoretiker, kein barocker Schwärmer, kein eitler Sprachexperimentator und kein skurriler Märchenerzähler, der sich über die Schwierigkeit des Schreibens und die Arbeit des Denkens hinwegschwindelt. Haslingers Sache ist groß, verwirrend und gefährlich: Es ist das Fortkommen der Menschen unter vorgefundenen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Geschichtliche Umwälzungen kündigen sich lange zuvor im Leben auch der fälschlich so genannten einfachen Leute an; diese tektonischen Bruchlinien aufzuspüren und anhand des Schicksals einzelner Personen nachvollziehbar zu machen, sie gleichsam von der dunklen Seite des Aufmerksamkeitsglobus ins Licht des Interesses zu holen, zeichnet Haslingers erzählerische und essayistische Arbeit aus. Er ähnelt darin mehr angelsächsischen realistischen Schriftstellern denn österreichischen Vorbildern. In diesem Sinn ist Josef Haslinger, der genaue Kenner des kleinen und engen Lebens, ein außerordentlich weltläufiger und welthaltiger Autor.
Seine Stoffe oszillieren zwischen den Polen Fiktion und Zeitgeschichte; seine Sprache ist unprätentiös und genau – wie auch Haslingers Eingriffe in politische und kulturelle Debatten im Ton ruhig und gelassen, in der Sache aber kompromisslos sind. Seine Parteinahme für die Opfer der Geschichte, die Vergessenen und Ausgebeuteten, ist glaubwürdig, weil er auch in Gegenwartsfragen beharrlich auf Seiten der Schwachen Stellung bezieht – sei es für Menschen auf der Suche nach politischem Asyl oder wirtschaftlichem Überleben, sei es für Hörspielautoren, welchen vom Nachfragemonopol mit einem Federstrich die Honorare um die Hälfte gekürzt werden oder seien es behinderte Menschen, die um ihre Selbstbehauptung in einem ohne Rücksicht agierenden Wirtschaftssystem ringen. Auf Josef Haslinger ist – über die Jahre und wechselnde politische Zeitläufte – Verlass. Das ist im Literaturbetrieb, diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten, eine seltene Haltung.
Josef Haslinger bedient keine literarischen Moden, er biedert sich nicht den Mächtigen an, er bleibt wachsam auch gegenüber seinen Freunden. Seit er mit einem kostbaren Erzählband über einen Mann am Rande der Gesellschaft debütierte, ist die realistische österreichische Literatur um eine wichtige Stimme reicher. Haslinger begnügt sich nicht mit der Mimesis, der Widerspiegelung des Vorgefundenen, er stellt sich der ästhetischen Arbeit und versucht immer wieder neue Deutungen seiner Personen und ihrer Möglichkeiten. Man könnte auch sagen, in seinen Texten verhandelt Josef Haslinger die Welt.
Ob in seinen Texten, im Kulturbetrieb oder in seinen literaturwissenschaftlichen Arbeiten – Josef Haslinger geht seinen Weg. Es ist ein einsamer Weg ohne allzuviele Vorbilder, ein präzis vorgezeichneter und von Haslinger Schritt für Schritt durchmessener Weg. Mit offenen Augen für das Neue, gesichertem Wissen und nachdenklichem Verständnis für das abgesunkene Alte, welches so oft, wenn unverstanden, das Leben der Menschen vergiftet, schreitet Haslinger aus und erzählt kluge und berührende Geschichten, die eines gemeinsam haben: Es sind allesamt Geschichten mit einem stupenden Weltreichtum. Wer, zum Beispiel, Haslingers letzten großen Roman «Vaterspiel» liest, ist um eine erregende Sicht auf die Welt reicher. Vor allem aus diesem Grund, der Welthaltigkeit Haslingerscher Prosa, ist es eine Freude, dem Autor auf seinem künstlerischen und gesellschaftlichen Weg zuzusehen und, wer weiß, auf der einen oder anderen Teilstrecke als Leser oder Mitstreiter zu begleiten.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2004