Von der Unendlichkeit der Möglichkeiten
Manchmal, wenn man glaubt, alles wäre bereits gesagt, alles wäre bereits erreicht und nichts würde sich mehr verändern, dann passiert es doch. Aber es ist selten. Für Leo Zog mayer scheint die Veränderung geradezu ein Prinzip zu sein. Künstler und Kunstbetrachter einigten sich stillschweigend darauf, daß das künstlerische Schaffen in jenem Moment seinen Höhepunkt erlangt, in dem der Künstler eine bestimmte ihm eigene Ausdrucksform gefunden hat. Der Wiedererkennungswert der Werke steht im direkten Verhältnis zur Vorstellung von künstlerischer Integrität. Leo Zogmayer dagegen hat sich nie auf einen Stil festlegen lassen, nie an einmal gefundenen Lösungen festgehalten. Er nimmt sich das Recht zur Veränderung, der die ständige Hinterfragung des eigenen Schaffens und des Kunstbegriffs an sich zugrunde liegt. Leo Zogmayer ist einer der wenigen jener Künstler, die sich in Österreich in den 80er Jahren etabliert haben und nicht versucht haben, ihre Ausdrucksform in die 90er hinüberzuretten. Nur zögernd hat sich Zogmayer für die Kunst entschieden. 1949 wurde er in Krems geboren. Bereits 25jährig begann der Kremser 1975 sein Studium bei Herbert Tasqui l an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Sein frühes künstlerisches Schaffen gilt vor allem der Graphik – Federzeichnungen, Radierungen und Lithographien. Neben Abstraktionen entstehen Landschaftsstudien und Stilleben, aber auch Objekte aus Holz und Metall. In den ersten Jahren dominiert das Thema der Landschaft. Bereits in dieser Zeit wird die Mehrschichtigkeit von Sichtweisen angesprochen: 1979 stellt die Galerie Hilger Zeichnungen und Radierungen Zogmayers aus und legt eine Serie von Landschaftsdarstellungen mit dem Titel ,,3 Blickwinkel“ auf. Seit 1982 reicht ihm die Landschaft nicht mehr a ls In ha lt, die Graphik nicht mehr als künstlerische Ausdrucksform. Er gewinnt das Medium der Malerei hinzu. Erst 1985 wird die Farbe, anfänglich als eine Verkomplizierung der künstlerischen Produktion abgelehnt, fester Bestandteil seines Vokabulars. 1983 erhält Zog mayer den Anerkennungspreis des Landes Niederösterreich, 1984 das österreichische Staatsstipendium für bildende Kunst. längst sind neben Wien, Salzburg und Graz Städte wie München, Paris, Basel und Bologna zu seinen Ausstellungsorten geworden. Obwohl Zogmayers Bilder und Graphiken von gegenständlichen Inhalten sind, wird nie die Wirklichkeit beschrieben. Vielmehr sind es eigene Gedankenwelten und Visionen, die Zogmayers Bildern zugrunde liegen -Titel wie „Schwester“, „Zwischentraum“, „Boot“, „Fleisch“, „Kreuz und Venus“ bringen dies zum Ausdruck. Daneben verarbeitet Zogmayer tragische Schicksale der anti ken Mythologie, wie jenes der Medea, in Bildfolgen. Im Zyklus „Medea“ (1984) erscheinen Gestalten aus der argonautischen Sagenwelt in Form von animalischmensch lichen Mischwesen als düster unheilvolle Archetypen, bedrohlich und angstvoll zugleich. Darin formuliert Zog mayer einen eigenen Mythos von der Tragik der menschlichen Beziehungen. In dieser Bilderwelt bleibt die menschliche Evolution ein ewiges Rätsel, das nicht ergründet werden will. Der Zyklus ,,Zwei Millionen Jahre“ (1984) erzählt von Männern und Frauen – verbunden und doch isoliert, ohne Glück, ohne Unglück. Zogmayers Bilder und Graphiken, so scheint es, kreisen immer um das Unbestimmte, in dem Leben und Tod, Sexualität und Religion die Hauptrolle spielen. Zogmayers Ausdrucksform ist meist expressiv, jedoch nichtim Sinne der österreichischen Tradition. Sein Stil scheint thematisch bedingt, als ob die jeweilige Sprache von dem Dargestellten eingefordert wird. Seine Malerei erscheint graphisch, sein nervöser Strich kantig. Ein ästhetischer Linienfluß wird vollkommen verneint, Formgewordenes heftig überm a lt oder überzeichnet. Die Handschrift ist unverkennbar, doch gibt es keine Konstante. 1989 ist Zogmayers Malerei beinahe monochrom geworden. Kaum kann man mehr von Bildern sprechen. Die großformatigen Bilder entwachsen langsam ihrer klassischen Form und dehnen sich zu monumentalen „Bildskulpturen“ aus. Mit dem Beginn der 90er Jahre verdichten sich Zogmayers Erzählungen zu ikonenhaften Raum- und Wandobjekten aus Bronze, Holz und Stuck. Malerei und Plastik gehen eine Mischform ein. Ausstellungen wie im Museum Moderner Kunst in Wien und im Museum Folkwang in Essen (1991) zeigen als „Hüllen“ titulierte voluminöse Großplastiken, die von nahezu monochromer erdfarbener Malerei wie von einer Haut überzogen werden. Der Raum selbst wird zu einer Negativform. Das Unbehagen selbst scheint Form geworden zu sein. Das Konzept der seit 1993 entstehenden Wandarbeiten und Objekte folgt klaren stereometrisch-geometrischen Grundformen. 1994 zeigt Zog mayer in einer Installation in der Minoritenkirchein Krems-Stein neben Quadern aus Acrylglas und Eisen Wandarbeiten aus monochromem Acryl auf MDF.Die Unbestimmtheit des frühen expressiven Werkes ist zu einer Leichtigkeit der verschiedenen Möglichkeiten geworden, die sich jedem Anspruch an Absolutheit verweigert. Die Anordnung der Bildobjekte ist nur scheinbar von kausalem Zusammenhang. Letzlich erscheint sie nicht als zwingend und stellt nicht nur den Objekt-/Bildbegriff in Frage, sondern auch die Position des Betrachters, die wiederum auch keine zwingende ist. Somit bleibt die Handschrift des Autors u nverkennbar: eine Unendlichkeit von Möglichkeiten. Die Entwicklung Leo Zogmayers künstlerischen Schaffens zeigt eine klare Emanzipation von seiner eigenen Geschichte. Seine Werke sind autonom geworden. Und vielleicht ist es das, was Kunst ausmacht.