Leopold Brauneiss

Musik

Neue Perspektiven

Leopold Brauneiss wurde 1961 in Wien geboren, wuchs dann im niederösterreichischen Perchtoldsdorf auf, pendelte zum Besuch des Gymnasiums und zum Studium an der Universität und der Musikhochschule nach Wien und lebt derzeit in Wien, um von dort-jetzt in entgegengesetzter Richtung – nach Niederösterreich zu pendeln: Nach Wiener Neustadt, wo er am Josef Mathias Hauer Konservatorium und an der Musikschule verschiedene theoretische Fächer und Klavier unterrichtet. (In den letzten beiden Jahren kam dann noch Schloss Zeillern hinzu, wo er die Fachgebiete Musiktheorie / Tonsatz in Blockseminaren des Pädagogischen Institutes für NÖ betreut hat.) Ein Grenzgänger im geographischen Sinn, versteht er sich nicht als Grenzgänger im ästhetischen Bereich,zumindest nicht in den landläufigen Bedeutungen, die man mit diesem Wort verbindet: Weder ist es sein Anliegen, als Teil einer avantgardistischen Vorhut die Grenze zu dann notwendiger Weise feindlich gedachtem Neuland zu überschreiten, noch fühlt er sich berufen, bestehende Grenzen zwischen verschiedenen Musikarten zu überschreiten, so faszinierend diese Idee auch prinzipiell ist. Doch zurück zum Ausbildungsweg. Der ist nicht der klassische eines Komponisten: Am Anfang steht das Studium der Musikwissenschaft, 1981 kommt dann das der Musikerziehung und der Geschichte hinzu, zuletzt ab 1985 das Klavier. Imzweiten Studienabschnitt wählt er Tonsatz und Komposition als Schwerpunkt. Mit dem Unterrichtbei Prof. Kratochwil kam das Komponieren wieder in Schwung, nachdem bereits einige Jahre zuvor eine ganze Schublade von Kompositionen aus den 70er Jahren im Mistkübel gelandet war. Heute bekennt er, dass ihm damals die Ermahnungen seines Lehrers, er möge doch einfacher komponieren, ein wenig kleinkariert vorkamen. Erst in den 9o-er Jahren hat er allmählich verstanden, dass Einfachheit nicht falsche Kompromisse bedeutet, sondern die Bereitschaft, Verantwortung für jeden einzelnen Ton zu übernehmen.
Prägend war aber doch weniger der persönliche Unterricht, sondern mehr das eigene Analysieren und Forschen. Zunächst galt das Interesse den Komponisten der Wiener Schule, insbesondere Alban Berg, dessen Kammerkonzertfür Violine und Klavier mit 13 Bläsern die Diplomarbeit gewidmet war, und Friedrich Wildgans, einem sehr vielseitigen Musiker und Komponisten, den man allerdings nur bedingt der Wiener Schule zurechnen kann -seinem Leben und Werk galt die Dissertation. Was sich schon beim Studium abgezeichnet hat, setzt sich bis zum heutigen Tage fort: eine Gespaltenheit zwischen wissenschaftlichem Arbeiten -Aufsätze und Vorträge unter anderem über Britten, Bruckner und Arvo Pärt – und dem Komponieren, das Unterrichten so unterschiedlicher Fächer wie Kulturgeschichte und Tonsatz nicht zu vergessen: In gewisser Weise also das vielzitierte ,,Sitzen zwischen den Stühlen“. Manchmal findet er es schon schade, gibt er zu, dass er sich nicht in ein Gebiet in besonderer Weise vertieft hat. Aber andererseits, so hofft er jedenfalls, verhindern die unterschiedlichen Arbeitsgebiete Einseitigkeiten, auch können sie sich gegenseitig beeinflussen. Abwechslungsreicher wird das Leben damit jedenfalls.
In den letzten fünf Jahren wurde der estnische Komponist Arvo Pärt in mehrfacher Weise zum zentralen Bezugspunkt: Ein Beitrag über die Kompositionstechnik seiner Werke im sogenannten Tintinnabulistil für die erste umfangreiche Monographie in deutscher Sprache ist in Arbeit, für den Verlag Universal Edition gab es Klavierauszüge und neuerdings auch urheberrechtliche Gutachten. Daneben sind Pärts Kompositionen aber auch zu einem Vorbild für das eigene Schaffen geworden. Am Tintinnabulistil sei ihm, so Brauneiss, aufgegangen, dass ein systemorientiertes Komponieren erst durch Vereinfachung im Hören zu voller Wirkung gelangt und in Verbindung mit vertrautem tonalem Material faszinierende Wirkungen ergeben kann. Deren Neuartigkeit liegt dann nicht in einem neuen Material, sondern in der neuartigen Verwendung alten Materials. Freilich kann man die kompositionstechnischen Details des Tintinnabulistils nicht einfach kopieren, auch gesteht Brauneiss ein, dass ihm zu einer radikalen Diatonisierung-zumindest einstweilen – der Mut fehlt. Als Ideal schwebt ihm vor, die Durchsichtigkeit der tonalen Strukturen Pärts mit einem sozusagen mitgedachten Total aller zwölf chromatischen Töne zu verbinden. Das kann in den einzelnen Werken ganz unterschiedlich ausfallen; in manchen spielen zum Beispiel Dreiklangsfolgen eine Rolle, die sich zur Zwölftönigkeit ergänzen, in anderen wandert ein tonales Grundmuster durch alle zwölf Tonarten des Quintenzirkels, in wieder anderen gehen tonale Passagen in atonale über-das Ideal wäre erreicht, wenn man nicht mehr sagen kann, ob ein Stück tonal oder atonal ist. Postmoderne? Warum nicht, wenn man unter dem ohnedies mittlerweile bereits verschlissenen Begriffnicht eine Ablehnung, sondern eine Weiterentwicklung der Modeme begreift. Eine Musik allerdings, die nicht in neoexpressionistischer Manier Nöte und Leid des Individuums hinausschreien, sondern in meditativer Ruhe und Strenge das Ich ermuntern will, aus sich herauszutreten. Eine Musik, die weder aus Prinzip verschrecken noch sich in falsche Schönklänge flüchten will. Die Frage, ob eine einfache Musik in einer
immer komplizierteren Welt nicht fehl am Platz ist, irritiert Brauneiss nicht: Die Sache mit dem Einfachen ist so einfach nicht, meint er. Eigentlich ist es gar nicht so schwierig, etwas Kompliziertes zu komponieren. (Dass es dann schwierig ist, das Komponierte zu spielen, ist wieder etwas anderes.) Das zu Komplizierte wird, wenn man es nicht mehr erfassen kann, zu undifferenziertem Einerlei. Umgekehrt kann das Einfache reich an Facetten sein, gerade, weil es viel offen lässt. Im Übrigen differenziert sich das Einfache von Werk zu Werk gleichsam von selbst, wenn man sich nicht wiederholen will. Und wer will schon genau wissen, inwieweit das, was man selbst als einfach ansieht, von Anderen überhaupt ebenso begriffen wird, oder ob man unter Einfachem nicht eigentlich etwas Vertrautes versteht und alles wie auch immer Befremdende als kompliziert einstuft. Und natürlich: Inwieweit alle die vorhin genannten Absichtserklärungen auch in die Musik eingehen, inwieweit der Wunsch einfach zu sein überzeugend „hinüberkommt“, das ist eine Frage des einzelnen Werkes. Vielleicht kann man ja der eigenen Vertracktheit gar nicht entkommen, so sehr man sich das auch wünscht. Es bleibt also dabei: Das Einfache ist eine Herausforderung, die zu meistern gar nicht so einfach ist.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2001