Lisa Kunit

Bildende Kunst
Image

Reziprozität des Blicks

In Lisa Kunits Malerei lassen sich im Wesentlichen zwei Arten szenischer Anordnung erkennen. Einerseits malt die Künstlerin Bilder, bei denen der Betrachtende mit einem Bildprotagonisten direkt konfrontiert wird, ihr oder ihm unmittelbar in die Augen sieht – andererseits finden wir ebenso Bilder, bei denen der Betrachtende einer abgebildeten Person in geradezu Caspar-David-Friedrich’scher Art über die Schulter zu schauen scheint und somit eigentlich dem dahinter liegenden Bildraum, der zumeist latent unheimlich anmutet, entgegensieht. Die Blickregie und die Frage nach dem eigenen Betrachtungsstandpunkt werden zum wesentlichen Gegenstand ikonischer Reflektion.
In der ersten Bildart, den «Konfrontationen» mit den gezeigten Protagonisten, wird der Betrachtende der dargestellten Person dialogisch gegenübergestellt. Die abgebildete Person lässt den Rezipierenden nicht aus den Augen, wirft den Blick an den Sehenden zurück. Kunit malt Personen, die ihrem persönlichen Umfeld zu entstammen scheinen, baut aber gleichermaßen (kunst-)historische Größen wie Frida Kahlo oder Vincent van Gogh in ihre Bilder ein. Die Künstlerin porträtiert ihre Bildprotagonisten stets subtil, oftmals auch mit ironischem Unterton. Die Dargestellten zeigen sich jenseits des vordergründigen Eindrucks von Direktheit und Selbstbewusstsein mitunter auch als Figuren der Ambivalenz und des Zweifels.
Die zweite Art der Bilder zeigt vom Betrachtenden abgewandte Personen. Die Dargestellten kehren dem Betrachtenden den Rücken zu, überantworten ihn beispielsweise der Weite einer Landschaft. Der malerische Umraum zeigt sich sphärisch-ephemer, teilweise auch gestisch aufgelöst. Dieser semiabstrakte Bildraum fungiert dabei weniger als szenischer Umgebungsraum konkreter Natur denn als narrative Projektionsfläche. Bildraum und Bildgeschehen unterhalten dabei kein hierarchisches Verhältnis. Der Betrachtende wird vielmehr mit einem Umschlagen von Vorder- und Hintergrund, einem Wechselspiel von narrativer Polysemie und malerischer Abstraktion und Verselbstständigung konfrontiert.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2015