Manfred Neuwirth

Medienkunst
Kunstfilm – Künstlerischer Spielfilm oder künstlerischer Dokumentarfilm
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Innovativer Grenzgänger

Lebensprinzip Annäherung an Territorien Themen, denen man langsam auf die Spur kommt Arbeit mit Bildern und TönenVertrauen zwischen Gefilmten und Filmenden Neugier Beobachten, Sammeln, Montieren
Freiraum für den Zuseher.1
So beschreibt Manfred Neuwirth sein Credo als Filmemacher. Es ist, wie auch seine Filme, von einer bestechenden Einfachheit, konzentriert auf das Wesentliche und eine Haltung jenseits filmischer Kategorien. Neuwirth ist einer der vielseitigsten österreichischen Filmkünstler, ein innovativer Grenzgänger zwischen Dokumentarfilm, Innovativem Kino und Neuen Medien. In Personalunion erledigt er Regie, Kamera, Schnitt und Produktion und verwirklicht so eine Form von wahrhaft unabhängigem Filmemachen – und ermöglicht es mit der Medienwerkstatt, deren Mitbegründer er 1978 war, übrigens auch anderen Künstlerinnen und Künstlern.
Neuwirth selbst bezeichnet sich als «Bildersammler», der das Material, das er dreht, und die Töne, die er aufnimmt, als eine Art Hilfsgedächtnis für sein Filmschaffen verwendet. Sein Interesse gilt dabei dem Alltäglichen, dem vermeintlich Unspektakulären, seine Bilder sind geprägt durch eine unvoreingenommene Aufmerksamkeit und genaue Wahrnehmung, frei von falscher Sentimentalität oder vorgefassten Meinungen. Doch in der thematischen und formalen Vielfalt, die sein Werk prägt, bleiben zentrale Dynamiken immer spürbar: die Bewegung zwischen dem Fernen und dem Nahen, dem sogenannten Fremden und dem scheinbar Bekannten, das Herstellen einer fokussierten Aufmerksamkeit, das Interesse an der Materialität und den sinnlichen Qualitäten des Mediums Video, mit dem er übrigens schon zu Zeiten arbeitete, als es im Vergleich zu Film noch als künstlerisch fragwürdig galt.
Neuwirths Filme sind immer eine Suche, unabhängig davon, ob er seine nächste Heimat Niederösterreich erforscht oder in ferne Länder reist, ob er sich klassisch-dokumentarischer Zugangsweisen bedient oder Wahrnehmungsexperimente unternimmt. Immer geht es ihm um das sogenannte «Reale», um dessen Vermittlung und auch Veränderung durch die filmische Wahrnehmung. Vor diesem Hintergrund finden unterschiedliche filmische Zugangsweisen wieder zusammen: dokumentarische Arbeiten, die man auch als zeithistorische Untersuchungen und (gesellschafts)politische Kommentare zu Österreich sehen kann – sei es «Erinnerungen an ein verlorenes Land »(1988) oder die beiden Interviewfilme «Vom Leben, Lieben, Sterben. Erfahrungen mit AIDS», 1993 und 20 Jahre später fortgesetzt. Aber eben auch seine seit den späten 1980ern entstandenen, freieren Filme wie die zentrale «[ma]Trilogie» (1988–1999) oder «Tibet Revisited» (2005) und zuletzt «Aus einem nahen Land» (2015). Es sind filmische Notizbücher, Forschungen, Beobachtungen und Assoziationsketten, die die Welt beinahe beiläufig festzuhalten scheinen.
Als «unerklärt und unerklärlich schön»2 beschreibt Stefan Grissemann die Ansichten und Klänge der filmischen Landvermessung «Tibet Revisited» und diese Beschreibung trifft die ästhetische Qualität vieler von Neuwirths Filmen, doch immer sind die Bilder und die Klänge, die für seine Arbeit ebenso bestimmend sind, in der Welt verankert. Sein Filmemachen ist zutiefst konkret, die Bearbeitung, Überhöhung, Verdichtung, Reduktion und Strukturierung seines Materials dienen dabei als Mittel der Fokussierung und Form der Auseinandersetzung.
Manfred Neuwirths Filme sind zuallererst wohl seine Methode, die Welt für sich zu erschließen. Sie sind aber auch ein Angebot und eine Herausforderung für sein Publikum, es sind offene Versuchsanordnungen, die eine Bereitschaft verlangen, sich einzulassen. Auf Fragen, wie man seine Filme sehen und verstehen soll, antwortet Neuwirth daher nicht gerne, das bleibt jeder und jedem selbst überlassen, denn Filmemachen, das ist bei ihm ein Dialog in zweifacher Hinsicht – zuerst zwischen ihm und der Welt, dann zwischen dem Publikum und dem Film.
Diese Offenheit dafür, was die Welt und das Medium ihm bieten können, das Denken in den Zwischenräumen, die wesentlich sind, ist vielleicht das bestimmendste Element seines bisherigen, außergewöhnlichen Werks und sein Geschenk an uns, das Publikum.
1 Brigitte Mayr, Michäl Omasta (Hg.): «Manfred Neuwirth.
Bilder der flüchtigen Welt», Synema 2015, S. 14
2 Stefan Grissemann: «Eine Ahnung von Freiheit», ebenda, S. 59

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2015