Margherita Spiluttini

Medienkunst
Künstlerische Fotografie
Image

Die technisierte Landschaſt!

Margherita Spiluttini, die ihren Schwerpunkt im Bereich der Architektur und Landschaftsfotografie gesetzt hat, zählt zu den führenden Fotokünstlerinnen Österreichs.Insbesondere ist die Künstlerin mit dem Land Niederösterreich eng verbunden. Zahlreiche Kunstprojekte wie etwa «99 Orte in Niederösterreich» zeugen davon. Von jeher hat sich der Mensch die Natur nutzbar gemacht, sie industriell «kultiviert»: Erzberge, Steinbrüche, Passstraßen, Staudämme oder Brücken und Seilbahnen sind die «Landmarks» der landschaftlichen Erschließung. Diese angeeigneten Landschaftsräume hat Margherita Spiluttini fotografisch dokumentiert, jedoch mit einem piktorialen Anspruch an die Arbeit: «Das Wichtige für mich ist die Komposition, der formale Aspekt des begrenzten Bildes, das irgendwie gefüllt werden muss. Das besteht dann aus Diagonalen, aus Hell-Dunkel, aus Waagrecht-Senkrecht, ein Ornament für mich. Ich will es aber nicht auf die formale Ebene reduzieren, ich will die inhaltliche Ebene davorsetzen.»1 Die steil aufragenden Staumauern, die hochragenden Pilotenpfeiler der Brückenkonstruktionen

Medienkunst
(Künstlerische Fotografie)

wirken wie operative Eingriffe in den landschaftlichen Raum, sich schlängelnde Passstraßen wie Narben auf der schrundigen Haut der Berge. Zum anderen verschlingt die mächtige Präsenz der Natur die Eingriffe des Menschen geradezu, sie werden zum mikroskopischen Wurmfortsatz der allmächtigen Natur. Oder ein Steinbruch fällt nach seiner Auflassung der wilden Natur anheim, wird zur romantisch archaischen Ruine. Die geometrisch systematischen Strukturen der Steingewinnung verbinden sich mit dem organisch chaotischen Wildwuchs. Spiluttini sucht keine unberührten Plätze oder reine Wildnis, sondern thematisiert das bebaute Spannungsverhältnis von Mensch und Landschaft. Die Koalition von «harter Technik» und «schöner Landschaft» steht in einem dauernd wandelnden Prozess. Die Errichtung des Semmering-Viadukts galt als heroische Naturüberwindung, als Überbrückung zuvor unbezwingbarer Schluchten. Heute ist Carl Ritter von Ghegas Bauwerk Inbegriff der romantischen Bahnreise durchs «schöne Österreich». Der Faktor Zeit hat gegenüber dem optisch erbaulichen Landschaftskonsum beim Reisen rapide an Bedeutung gewonnen. Ohne pittoresken Ausblick auf Berge, Wald und Tier brausen die Passagiere mit ICE und Railjet durch die Tunnelsysteme und auf mit Schallmauern abgesonderten Geleiskanälen von A nach B. Als ebenso prestigeträchtige innovative Bauwerke im landschaftlichen Raum – die neuen Weltwunder des Nachkriegsösterreichs – galten der Kapruner Staudamm oder die Europabrücke. Heute ist die Brenner-Brücke negatives Symbol für den Transitverkehr.2 Ins Gigantomanische wachsen dann die massiven Eingriffe in Natur- und Lebensräume – horribles Negativbeispiel sind die Mammutstaudammprojekte am Jangtse. Spiluttinis Blick auf die Landschaft vergleicht Wolfgang Kos treffend mit dem einer «autofahrenden Blickforscherin».3 Die Fotografin verlässt kaum die gebauten Pfade durch Berg und Tal, orientiert sich am Straßensystem, folgt der Landkarteund GPS: «Der Frontscheibenausschnitt des fahrenden Autos rahmt die Blicke.»4 Dennoch kann man keineswegs von Schnappschüssen aus dem fahrenden Vehikel sprechen; stets sind es wohl sondierte Ausschnitte der Wirklichkeit, die auf der Plattenkamera festgehalten werden. Spiluttini verwehrt sich gegen jegliches idyllisch heimatverbundenes Bild ihrer Fotografien. Kein verklärter «Ins Land einischauen»-Blick aus dem guten alten Postbus, der die Sommerfrischetouristen über die sich schlängelnde GroßglocknerHochalpenstraße führt. Stattdessen dokumentarische Sachlichkeit.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2017