Verletzliche Industriebauten
Die Fabriken waren die gebauten Heroen des Industriezeitalters: Jene Orte, in denen Fließbandarbeit verrichtet, Massenware produziert wurde, stehen paradigmatisch für eine ganze Ära – die jedoch lang vorbei ist. Erschienen die Manifestationen dieser verflossenen Zeit etwa in der amerikanischen Malerei der 1920er Jahre als dominant, mitunter bedrohlich, so haben sie diesen Charakter heute längst verloren. Für die zeitgenössische Kunst ist der Industriebau in erster Linie als Zeugnis vergangener Zeiten interessant: Vor allem die Fotografie dokumentierte in den vergangenen Jahrzehnten gern den Verfall von Fabriksarealen.
Maria Temnitschka präsentiert in ihren zumeist großformatigen Malereien die leeren Hallen als nach wie vor beeindruckende Kulissen: Mächtig erstrecken sich die Räume, getragen von massiven Pfeilern. Häufig bricht Licht in die Säle herein, manchmal durch riesige Oberlichtfenster, manchmal durch fehlende Decken oder Wände. Hier spiegelt sich der Raum im eingeregneten Wasser, dort fühlt man sich angesichts der verwinkelten, in die Höhe strebenden Gänge geradezu an die alptraumhaften »Kerker« des italienischen Kupferstechers Giambattista Piranesi erinnert. Doch trotz all ihrer Größe zeigen sich die Industriebauten hier verletzlich: Ziegel liegen vor einem kaputten Fenster, Gras wächst über einen Boden, Graffiti und eingeschlagene Scheiben zeugen davon, dass sich lange niemand mehr um diese Orte gekümmert hat. Bisweilen scheint es, als würde die Natur die Räume zurückerobern – was durch die Grün- und Brauntöne, die Temnitschkas Malereien wie eine Patina überziehen, noch betont wird. Auch frühere Arbeiten von Temnitschka widmeten sich dem wenig Beachteten: So malte sie, in ihrem klaren, nüchternen Stil, die verlassenen Orte unter urbanen Brücken ebenso wie Treppenhäuser und Hinterhöfe.
Maria Temnitschka, gebürtige Niederösterreicherin, lebt in Wien und der Wachau; sie stellte bereits häufig in Niederösterreich aus, etwa in der Kunsthalle Krems, dem NÖDOK, dem Art Room Würth, der Galerie Gut Gasteil sowie der Artothek in Krems.