Das Sinnliche empfindsam machen
Marie Luise Lebschik wurde 1952 in St. Pölten geboren und ist seit Mitte der 1980er-Jahre künstlerisch tätig. Sie ist mit dem bekannten Maler Siegfried Anzinger verheiratet.
Marie Luise Lebschiks Malerei kreist seit Jahrzehnten um nur ein Thema: Mädchenfiguren verweisen auf Zustände der Unentschlossenheit und Introvertiertheit der Pubertät. Diese Situation des Übergangs verharrt bei ihr im Zustand der Langsamkeit. Der verweigerte Dialog der Gesichter mit dem Betrachter, aber auch der Körper mit dem sie umgebenden Farbraum, lässt auf eine allgemeine Aussage zur Isolation des modernen Individuums schließen.
Die Figuren bilden das Alter Ego einer ganzen Generation, die nicht erwachsen werden will. Aber da sie nicht eindeutig zu uns sprechen wollen, ist die sinnliche Freude am Stofflichen in dieser Malerei wesentlich.
Die Himmel werden aber meist undurchsichtig, die Kleider empfangen Tageslicht aus unsichtbaren Quellen. Zwar handelt es sich scheinbar nicht um eine Ateliersituation, doch die Landschaften bleiben auch undefiniert. Mit konsequenter Beobachtung von Fotografie über Zeichnung bis zur Malerei von Modellen ist die künstlerische Praxis weit gesteckt und reflektiert über sich selbst.
Gestalt und Gestaltloses stehen nebeneinander, Hintergrund und Figur verbinden sich eigentlich nicht, es gibt neben dem Nichtort (Utopos) keine konsequente Perspektive, keine Entscheidung für flächiges oder räumliches Gestalten.
Der serielle Faden macht klar, dass es eigentlich immer wieder um Nachdenken über Malerei geht. Das Einzelbild bleibt Experimentierfeld für kleine Abschnitte, die in sich eine eigene Optik und Malhaut bilden. Farbschichten stehen neben Leerstellen, Genauigkeit neben bewusster Nachlässigkeit. Es existieren kaum Übergänge und keine Schatten, die Figuren können aber durch die Farbe reine Lichtgestalten werden. Wagnis, Zerbrechlichkeit, Unentschiedenheit werden als Methode Zeichen einer starken, kaum beschreibbaren Empfindsamkeit. Das Denken wird hier sinnlich mit dem Auge vollzogen, es gibt nichts, was dem Zeitgeschmack huldigt, nichts Spekulatives. Mit Maria Lassnig teilt Marie Luise Lebschik neben der psychischen Grundstruktur die teilweise pastellige Farbigkeit, ihre Stille verweigert jedoch alles Expressive, ihre Introspektion erzeugt ein Gefühl der Ratlosigkeit und diese vermittelt auch den Zustand von Angst. Diese speist sich auch aus der herabgesetzten Interpretationsfähigkeit, da keinerlei Erzählung vorhanden ist.
Einzelstellen verraten viel mehr Marie Luise Lebschiks Begeisterung für Paul Cézanne oder Diego Velázquez, in den Figuren können sich Erinnerungen an Piero della Francesca wie an Balthus oder Henri Matisse vollziehen. Sicher ist jedoch die Behauptung dieser Malerei in der Praxis der Gegenwart: Sie huldigt weder der Abstraktion, noch dem so populären Wirklichkeitsphänomen, sondern wählt einen dritten Weg.
Daneben ist auch ihre neue Identifikation von Geschlecht ohne Konstruktionen fast politisch. Wenn eine Frau in derartiger Konsequenz nur Mädchen malt, ist die autobiografische Interpretation nicht mehr ausreichend. Hier geht es um das verstörende Aufzeigen einer Selbstbehauptung des Fragilen in einem immer noch von Erhabenheit und Sensation dominierten patriarchalischen Dasein. Marie Luise Lebschiks malerische Position des Verharrens in stilisierter Unsicherheit des empfindsam Sinnlichen reformiert hoffentlich auch die männlich dominierte Malerei am Kunstmarkt.