Marlen Schachinger

Literatur
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Der Zauber geistiger Irrlichter

Marlen Schachinger ist eine Schriftstellerin mit vielfältigem Œuvre. Sie schreibt nicht nur Erzählliteratur, sondern – als promovierte Philologin und Literaturwissenschaftlerin – auch Essays zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen und kulturwissenschaftliche Arbeiten. Im nördlichen Weinviertel hat sie außerdem das Institut für Narrative Kunst in Niederösterreich begründet und unterrichtet dort literarisches Schreiben. Ein Verständnis von Literatur als umfassende intellektuelle und künstlerische Lebensform scheint die unterschiedlichen Aspekte sehr plausibel zu verbinden. In Schachingers Erzähltexten tritt eine der größten Errungenschaften von Literatur in den Vordergrund: die Fähigkeit, geistige Beschränkungen zu überwinden. Mit Sicherheit ist diese Literatur kein simples Abbild einer «Wirklichkeit», deren Existenz ohnehin fragwürdig ist. In einer Zeit, in der normierte Narrative in den Dienst der strategischen Manipulation gestellt werden, ist es ein wohltuend abenteuerliches Unterfangen, diese Texte zu lesen, bei deren Lektüre man nicht vorhersehen kann, was als Nächstes kommt.Marlen Schachingers Erzählband «Unzeit» (2016) etwa bietet ein ausschnitthaftes Ausleuchten von Existenzformen, Lebensmomenten und Gesellschaftsphänomenen in bedachtsamer Tiefgründigkeit. Zentral sind unterschiedliche Frauenfiguren an Schauplätzen wie Kuba, Österreich oder Tschechien, der zeitliche Rahmen erstreckt sich von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart –
historische Bezüge werden also gesetzt. Die Autorin recherchiert und fabuliert gleichermaßen, sie zeigt nicht nur, was ist, sondern auch, was sein kann. Ihre narrative Kunst setzt auf den Zauber geistiger Irrlichter und offenbart sich als faszinierendes Gewebe von Bewusstseins-, Wahrnehmungs- und Denkformen, das einerseits zutiefst menschlich ist und in dem andererseits eine starke poetische Kraft liegt.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2016