Marlene Streeruwitz

Literatur
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«Ich will als handelndes und denkendes Subjekt wahrgenommen werden»

Die in Baden geborene Dramaturgin und Autorin von Romanen, Novellen, Hörspielen, Essays und theoretischen Schriften ist in allen Genres, deren sie sich annimmt, nicht nur eine Meisterin, sie ist eine unbestechliche Meisterin.
Kompromisslos den feministischen Blick auf die Gesellschaft fokussierend, unbeeindruckt von patriarchaler Kritik wie von jener aus den Reihen der vermeintlichen «Schwestern», betreibt Marlene Streeruwitz ihre anstrengende Arbeit des Dekodierens der Welt. Das ist keine Literatur, keine dramatische Kunst, die sich gemütlich konsumieren lässt, die sich Leserinnen und Leser im Vorbeigehen zu eigen machen – da wird gefordert, auch in der Haltung der Lesenden/Schauenden.
Unerbittlich ließe sich die Grundhaltung der Autorin nennen – und das ist gut so.
Dass es sich als Autorin, die keine lauen Erwartungshaltungen gefällig bedient, kaum bequem lebt, darf angenommen werden. Dass es sich als Schreibende, die sich auch immer wieder vehement und klug in Kommentaren, Essays, Reden zum politischen Geschehen äußert, noch unbequemer lebt, darüber muss nicht einmal spekuliert werden. Marlene Streeruwitz, die als eine der prägnantesten Stimmen österreichischer Gegenwartsliteratur und feministische Verfechterin der Zivilgesellschaft betrachtet wird, lässt die Schere im Kopf nicht gewähren, liefert brillante Diagnosen einer zunehmend prekären Gesellschaft. Das wird nicht immer belohnt.
In der Begründung anlässlich der Verleihung des Droste-Preises der Stadt Meersburg (2009) heißt es unter anderem: «Mit energischer Beharrlichkeit vor allem die Interessen der Frauen verfechtend, entwirft sie mit großer analytischer Kompetenz und mit souveräner Sprechkraft Figuren- und Handlungsmodelle des zeitgenössischen Lebens.»
Die Besonderheit im Werk von Marlene Streeruwitz liegt in ihrem unverwechselbaren Gestus, der das Alltägliche, das sattsam Bekannte, das unter Umständen Langweilig-Ausgelutschte in eine revolutionäre Form gießt. Anlässlich des Erscheinens von «Die Schmerzmacherin» (2011), für das die Autorin mit dem Bremer Literaturpreis 2012 ausgezeichnet wird, formuliert Cornelius Hell (Der Standard): «Nichts ist so bekannt und so oft beschrieben, dass dieser Roman nicht unverbrauchte Sätze dafür finden und einen neuen Blick darauf entstehen lassen könnte.»
Seit 1986 publiziert Marlene Streeruwitz, Anfang der 1990er Jahre gelingt ihr der viel beachtete Durchbruch als Dramatikerin, in der Folge machen ihre Prosawerke Furore. Und immer wieder arbeitet sie sich ab an höchst polarisierenden Themen, leuchtet im Staccato ihrer Sprache die Position der Frauen im gesellschaftspolitischen Kontext aus, nennt den Männlichkeitswahn beim Namen, provoziert mit ihren Stücken Diskussionen über verkrustete Strukturen im Theater, besetzt selbst den Regiesessel am Schauspielhaus Köln und im Wiener Schauspielhaus, schlüpft im düster-beunruhigenden Film «Hotel» von Jessica Hauser in eine Filmrolle, die sie glänzend ausfüllt.
Ein ununterbrochenes Suchen, Aufbrechen – im literarisch-metaphorischen Sinn wie in der Realität gelebter Wirklichkeiten –, das ist eine der vielen Ebenen, auf denen die Autorin sich bewegt. Zwischen Wien, Berlin, London und New York vaziert die akribisch Beobachtende und souverän Schreibende.
«Aufbrechen» könnte ein Terminus sein, den Rezipientinnen und Rezipienten in all seiner Doppeldeutigkeit eventuell den Literaturen von Marlene Streeruwitz zuordnen möchten.
Gleichzeitig entzieht es sich der Vorstellungskraft seitens Zweiter und Dritter, welch immenses Maß an Mut, Kraft, Durchhaltevermögen und enormer Integrität es bedarf, um an diesem permanenten Aufbrechen nicht persönlich zu zerschellen.
Marlene Streeruwitz hat sich für einen bravourösen Weg im herben Getriebe des Literaturbetriebes entschieden – einen geradlinigen, feministischen und unkorrumpierbaren.
Dafür, ihr bisheriges Schaffen und ihre nicht verhandelbare Haltung, in der sie sich dazu bekennt, «österreichisch» zu schreiben, gebührt ihr allerhöchste Anerkennung – gepaart mit dem Wunsch, noch sehr viel mehr von ihr zu lesen, zu sehen, zu hören.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2012