Matthias Mander

Literatur

Beruf und Berufung als Spannungsfeld

Matthias Manders berufliche und schriftstellerische Tätigkeiten stehen in einem engen Zusammenhang. Der 1933 in Graz geborene Autor einer Romantrilogie arbeitet seit 1955 in einem großen Industrieunternehmen in Wien und ist in diesem seit fünfzehn Jahren in einer Stabsfunktion planend tätig. Die vor der Realisierung eines großen technischen Projektes notwendige organisatorische Gestaltung wurde zum Modell beim Bauplan seiner Romane, deren Inhalte sich aus den Herausforderungen der Arbeitswelt und deren Auswirkungen auf den Menschen ergaben.
Bekannt wurde Mander mit seinem 1979 erschienenen Roman „Der Kasuar“. Der Erfolg dieses Buches bedingte die Veröffentlichung der bereits vorhandenen Erzählungen: 1980 erschien ,,Das Tuch der Geiger“. 1985 erschien Manders zweiter Roman „Wüstungen“, dem 1989 „Der Sog“ folgte. Damit schloss Mander sein thematisch zusammenhängendes Romanwerk ab. Er hat mit diesem zu den ihn berührenden Problemen seiner beruflichen Umwelt erschöpfend Stellung genommen und wird sich den ihn tief bewegenden Fragen der menschlichen Existenz und des Glaubens zuwenden. Für sein literarisches Werk hat Mander zwischen 1980 und 1990 durch Preisverleihungen wiederholt öffentliche Anerkennung bekommen, mit Vorlesungen im In- und Ausland war er kulturpolitisch aktiv.
„Der Kasuar“ enthält ein umfangreiches Gestaltenpanorama, das in seiner Gesamtheit den durch seinen Beruf geformten und verformten Menschen zeigt. Die ethischen und sozialen, die psychologischen und religiösen Probleme des Komplexes Wirtschaft und industrielle Produktion werden mit schmerzhafter Deutlichkeit erkennbar. Falsche Vorstellungen darüber werden gründlich ausgeräumt. Was unter Zeitdruck entstand, wird Ausdruck einer gestressten Lebensweise. überraschend ist der Reichtum an originellen Metaphern. Das zeigen zum Beispiel die Kapitelüberschriften oder der Titel des Romans: „Ein riesiger, kräftiger Laufvogel, schneller Renner, kopfvoran durch Dornen, Lianen: der Kasuar, dessen Flügel sich nie in die Luftschwingen, aber- mit knochenharten Kielen bewehrt schneidendes Durchpflügen des Dikkichts erzwingen.“ Diese Beschreibung zielt auf die Hauptfigur, deren Name Rausak sich aus der Umkehr des Wortes Kasuar ergibt.
Auf diesen exotischen Vogel wurde Mander im Jagdmuseum in Marchegg aufmerksam. Am Rande des Marchfeldes lebend, entdeckte er die Merkwürdigkeiten und die Schönheit dieser Landschaft. Es entstand ein Roman, in dem in zeitgemäßer Form Heimat dargestellt wird: Wüstungen“. Erzählt wird von einem Aussteiger aus der Industriewelt, dem die Erkenntnis von der Notwendigkeit des technischen Großprojekts Marchfeldkanal wieder zu seiner früheren Tätigkeit zurückführt. Mander baut mit seinem gesammelten Material über das Marchfeld um diesen Handlungskern seinen Roman auf. Es entsteht ein Bild der Kulturlandschaft, das sich im Laufe der Jahrhunderte ständig veränderte. Wo einst Dörfer waren, ist heute Ackerboden. Die nur mehr aus Urkunden bekannten Siedlungen, die Wüstungen, haben vage Spuren hinterlassen. ,,Nur im Vorfrühling, zwischen dem Ausapern und dem ersten Sprießen der Wintersaat können unter hellen, schrägen Morgenstrahlen die Fluren begangen werden, auf denen sich durch mehrere Anzeichen die Umrisse eines Dorfes zeigen, das vor vielen Jahrhunderten untergegangen ist.“ Der historische Begriff Wüstung wird dann bei Mander zu einem Sinnbild, das er auf den Menschen bezieht. Auch Begabungen können verschüttet werden. Er stellt damit die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz, und er stellt sie mit dem Blick auf den Menschen unserer Zeit, der mit den ihm gegebenen Fähigkeiten dazu beitragen sollte, die Welt vor einer Verwüstung ihres Lebensraumes und sich selbst vor einer Verwüstung seines Inneren zu bewahren. Er denkt dabei an die darbenden Menschen der Entwicklungsländer, aber auch an uns alle. In seinem Roman schrumpft die weite Welt auf das kleine Marchfeld zusammen. Dort erlebt der Aussteiger seine Verwandlung und kehrt in die Maschinerie des Wirtschaftslebens zurück. Man darf nichts austrocknen lassen, der Bau des Bewässerungskanals wird für ihn zum Signal. Die Weltprobleme werden in ihrer ganzen Tragweite sichtbar, der Ruf an uns unüberhörbar: Du bist gemeint! Das für die österreichische Geschichte so bedeutende Marchfeld wird als Raum in seiner zeitlichen Tiefe erfasst und als Beispiel, das lehrt, vor uns hingestellt. Mander beweist, dass Heimat kein sinnentleerter Begriff ist, sondern Identität im Menschen schafft.
„Der Sog“ führt zurück in die Stadt. Der Schriftsteller geht den Weg der Figur seines zweiten Romans. Ort der Handlung ist ein Bürohochhaus am Donaukanal in Wien, wo ein Spitzenmanager sein Purgatorium erlebt. Dort verbringt er die Woche zwischen Weihnachten und Silvester 1986, während der im Hause nicht gearbeitet wird. Inhalt ist die Auseinandersetzung mit sich selbst des Vizepräsidenten der schon in den früheren Romanen vorkommenden Erz-Blech-Chemie-Holding, die auch wirtschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion hat. Ohne sein Zutun wurde der skrupellose Manager in die politischen Vorgänge des Jahres 1986 in der Sowjetunion hineingezogen. Er muss annehmen, dass auf ihn ein Attentat verübt werden soll. Deshalb hat er sich in das riesige leere Haus zurückgezogen, denn dort fühlt er sich am sichersten. Seine Vergangenheit strömt durch sein Bewusstsein, sein Gewissen erwacht. Er hat beruflich und privat zu viel unterlassen, er gerät immer mehr in Angstzustände und schließlich in Panik. Unter den vielen Figuren der drei Romane Manders ist diese das erschütterndste Beispiel für die seelische Erosion des Menschen durch den Beruf. Dieser außerordentliche und gebildete Mensch konnte sich dem Sog nicht entziehen. Doch es besteht Hoffnung. Das aus erleuchteten Fenstern des Hochhauses gebildete Kreuz strahlt während der Weihnachtszeit über die Stadt. Es darf auch als ein Zeichen des Glaubens betrachtet werden, der alle Romane und Erzählungen Manders durchdringt. Er ist das Fundament eines großen modernen Welttheaters in Prosa, zu dem diese Romane mutieren, da sie die herkömmlichen Formen sprengen.
Originalität, Universalität und Aktualität sind die Eigenschaften des erzählerischen Werkes Matthias Manders, der von sich selbst sag, dass er versuche, das „täglich Zustoßende, Einströmende und das davon Geschichtsbezügliche zu bewältigen“. Er bewältigte dabei die Spannung zwischen Beruf und Berufung.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1991