Nancy Arrowsmith

Sonderpreis
Umweltschutz

Eine Arche Noah für Kraut und Rüben

In Schiltern bei Langenlois versucht ein Verein, die Vielfalt unserer Garten- und Feldpflanzen zu retten, und somit auch die Kultur unserer vielfältigen Ernährung.Nancy Arrowsmith ist gerade von einer Kroatienreise zurückgekehrt. Im Gepäck ein recht ungewöhnliches Mitbringsel: Samen von seltenen Gemüse- und Getreidesorten. Was will sie damit? Die geheimnisvolle Sammlerin schwärmt nun von den vielen Hausgärten in unserem südlichen Nachbarland. Während hierzulande die Beschäftigung mit Nutzpflanzen eher zu einem Hobby verkommen sei, stoße man in Kroatien noch weitgehend auf eine Selbstversorgergesellschaft. Eine ,,Rückständigkeit“, welche Nancy Arrowsmith als ,,zukunftsträchtig“ sieht. U n d sch ließ lich ä u ß e rt diese Frau mit den seltsamen Ansichten noch leise Kritik an der Aktion ,,Saatgut für den Frieden“, welche dazu beigetragen habe, einheimische kroatische Nutzpflanzensorten zu verdrängen. Höchste Zeit also, mehr Licht in die Geschichte zu bringen. Am besten beginnen wir noch einmal von vorne: ,,Jedes neu hinzugekommene Nahrungsmittel, jede Vergrößerung und Verbesserung einer Frucht, jede neue Faser, die sich zum Spinnen und Weben eignete, jede neue Heilpflanze, die den Schmerz verringerte, Wunden heilte und Müdigkeit verscheuchte – all das muß weit mehr Anlaß zur Freude gewesen sein als heute das neueste Auto oder Raketenmodell“, schreibt der bekannte Historiker Lewis Mumford in ,,Mythos der Maschine“ über die archaische Dorfstrucktur des Neolithikums. Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute gibt es auf unserer Welt mehr Automarken als Gurkensorten. Und obwohl „umweltbewegt“, finden die meisten Menschen Pflanzen schlichtweg langweilig. Pflanzen entwickeln sich so langsam, daß wir sie in unserer geschwindigkeitssüchtigen Zeit kaum als lebendige Wesen empfinden. Zudem sind sie nicht so behaart, daß wir sie streicheln mögen oder gar in der Hauptrolle einer Krimiserie sehen wollen. Kein Wunder also, daß ihr Aussterben (zwei Arten pro Stunde) der raffgierigsten aller Arten nicht und nicht ins Bewußtsein dringen will. Selbst dort, wo Pflanzen ihn in seinem Innersten berühren, im Magen also, scheint der Mensch bereits hoffnungslos abgestumpft. ,,Das Angebot in den Supermärkten scheint heute so groß wie noch nie, aber diese Fülle täuscht leider“, konstatiert Nancy Arrowsmith, Kapitänin des Vereins „Arche Noah“. „Auf unseren Feldern herrscht eine gefährliche Einfalt. Die Ernährung der Menschen hängt heute nur noch an einer Handvoll Arten. Und deren Sortenvielfalt schrumpft zusehends. Was wir heute in den Saatgutkatalogen vorfinden, stammt bei den Gemüsesorten zu 98 Prozent aus dem Ausland, und es ist zu erwarten, daß 95 Prozent der europäischen Gemüsesorten bis zum Jahr 2000 verschwunden sind.“Eine solche Verarmung kann böse Folgen haben, denn genetische Vielfalt ist die kreative Quelle der Evolution. So konnten sich die Nutzpflanzen, von der oft jahrtausendelangen Auslese durch die Bauern unterstützt, an die jeweiligen Standorte und Klimabedingungen anpassen. All das hat man in den letzten Jahrzehnten über Bord geworfen, um in Hinsicht auf die Profitmaximierung, aber auch als kurzsichtige Bekämpfung des Hungers, ertragreiche und maschinengerechte Einheitssorten weltweit anzubauen. Heute müssen wirfeststellen, daß diese Sorten hochgradig anfällig für Schädlingen sind, deren massive chemische Bekämpfung den Pflanzen eine nicht gerade gesundheitsfördernde Imprägnierung verleiht. Nancy Arrowsmith (195o in Oxford geboren, aufgewachsen in Italien) kam mit ihrem Mann vor rund zwanzig Jahren ins Waldviertel und begann dort, einen alten Forsthausgarten zu pflegen. Aufmerksam beobachtete die Autodidaktin, wie ringsum nach und nach die Hausgärten und die kleinen Samenhandlungen verschwanden und mit ihnen die heimischen Obst- und Gemüsesorten. Um dem entgegenzuwirken, gründete sie 1984 die Biogartenzeitung ,,Kraut und Rüben“ und fünf Jahre später die „Arche Noah“, eine ,,Gesellschaft zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und deren Entwicklung“. Der ist im alten Barockgarten von Schloß Schiltern bei Langenlois an Land gegangen – wo Arrowsmith nun in einem europaweit wohl einzigartigen Schaugarten rund tausend verschiedene Kulturpflanzen anbaut. Neben zahlreichen Gemüsesorten, darunter Raritäten wie blaue Erdäpfel und weiße Paradeiser, wachsen hier auch Getreide, Blumen, Kräuter, Wildpflanzen und Obstbäume in paradiesischer Vielfalt nebeneinander. ,,Jeder, der über ein Fleckchen Grün verfügt, kann dieses in eine kleine ‚Arche Noah‘ verwandeln“, lautet das Motto der niederöstereichischen Pflanzenretter. Denn der zwei Hektar große Schaugarten dient nicht nur als Attraktion für interessierte Besucher, sondern in erster Linie der Gewinnung von Saatgut. Dieses wird dann über den Jahreskatalog der Vereins an engagierte Gärntner weitergegeben, um so für eine größere Verbreitung der vom Aussterben bedrohten Pflanzen zu sorgen. Aber die Arche-Noah-Mitglieder tauschen auch untereinander, sodaß der Katalog nicht weniger als 2500 Posten aufweist. Zudem beherbergt der Keller des Schiltener Gartenpavillons eine Samensammlung von 5000 verschiedenen Sorten, eine Art eiserne Reserve. Jährlich kommen zirka 500 Sorten dazu. Nancy Arrowsmith nimmt eine der zahlreichen Infusionsflaschen und schüttelt sie – eine Handvoll Tomatensamen: ,,Da stecken 50 Arbeitsstunden drinnen!“ Kein Wunder also, daß gewissen hafte Helfer im Schiltener Schloßgarten immer willkommen sind. ,,Wenn wir in die Gefahr kommen, zu resignieren, dann nur, weil wir nicht mehr wissen, wie wir die viele Arbeit bewältigen sollen.“Auf der anderen Seite des Kellers lagern 300 verschiedene Kartoffelsorten in Kartons. Die Kartoffel wurde dereinst in Europa als „abscheulich“ verschmäht und nur wegen ihrer schönen Blüten weiterverpfla nzt. Dabei weist gerade die Kartoffel eine besondere Vielfalt in Geschmack und Verwendungsmöglichkeit auf. Noch vor nicht allzu langer Zeit wußte jede Hausfrau, welche Sorte sie am besten als Bratkartoffel verwendet, weil die sofort eine Kruste bildet, und welche Sorten für Erdäpfelteig, Erdäpfelsalat, Schweizer Rösti, u.s.w. am geeignetsten sind. ,,Heute, wo man die Kartoffel nicht mehr in Hinsicht auf Geschma5ck, sondern nur noch in Richtung Profit verbessert, müssen wir feststellen, daß die neuesten Varietäten qualitativ den alten Sorten nicht das Wasser reichen können und obendrein hochgradig anfällig für Schädlinge sind.“Daß der mehrfach preisgekrönte Verein nun auch von der Europäischen Union gefördert wird, hat einen etwas bitteren Beigeschmack. Denn gerade die EU hat mit ihren Sortennormierungen wesentlich dazu beigetragen, daß heute bereits der Großteil der europäischen Gemüse- und Obstsorten vom Feld- und Gartenboden verschwunden sind. ,,Am Anfang war man bemüht, das Chaos zu ordnen, welches die Saatgutfirmen mit Fantasienamen angezettelt haben, aber dann hat das plötzlich wirklich krasse Folgen gehabt.“ Die zunehmende Vereinheitlichung von Essen führt uns nämlich nicht nur kulinarisch, sondern auch gesundheitlich in die Sackgasse. Die Zunahme von Allergien ist nur eine der Folgen. ,,Es ist einfach noch viel zu wenig untersucht worden, was in den Pflanzen alles drinnensteckt. Zum Beispiel hat man jetzt festgestellt, daß Sprossenkohl eine krebsvorbeugende Wirkung hat. Und bei den Kräutern steht die Forschung überhaupt erst am Anfang. Und da wir die Anwendungsbereiche für einzelne Arten nicht vorraussagen können, weiß niemand, was uns verloren geht, wenn eine Art ausstirbt.“ 5

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1996