Ein Beinahe-Alleskönner
Thomas Bernhard hat gemeint, Kunstpreise müßte man den Jungen und nicht den Arrivierten geben, er nannte das vollendete 40. Lebensjahr als Grenze. Das Land Niederösterreich erwischte den für Niederösterreichs Theatersommer seit 1995, seit „Faust“ erster und zweiter Teil an einem Abend im Stift Melk, die meiste Aufmerksamkeit, Neugier auf sich ziehenden Regisseurnoch ganz knapp: Der gebürtige Wiener ( mit Liechtensteiner Staatsbürgerschaft) Nikolaus Büchel feierte am 30. September seinen Vierzigsten. ,,Weh dem, der lügt“ zeigte Büchel im Sommer 1997 als Freiluftspiel vor dem barocken Gartenpavillon von Stift Melk als ein gottvertrauensseliges Kindermärchen, als amerikanisches Kitschmelodram, in welchem eine Turnschuhprinzessin sich von einem Tennislehrertyp entführen läßt; doch die Ideenwelt Franz Grillparzers entfaltete dennoch ihren feinen Zauber. Und ganz nebenbei wurde dem staunenden Publikum bewiesen, daß der Grillpanrzer durchaus Amüsement und Kurzweil verspricht. Schon im Sommer 1996 hatte er sich der österreichisch en Klassi ker-D ra matu rgi e verschrieben mit ,,König Ottokars Glück und Ende“. In seinem Stiftsgarten-Rasen-Österreich redeten Steirer steirisch, Kärntner kärntnerisch und Rudolf von Habsburg schwyzerisch. Der Kaiser erschien, wie Grillparzer ihn erlebte und er selber sich sah: also ein Beamter. 1997 holte ihn das Salzburger Mozarteum, wo er selbst ein Schauspiel- und Regiestudium absolviert hat, als Schauspiellehrer. Vielleicht ein Signal, daß der Wanderer durch deutsche und österreichisch e Theate rla n de n u n s e ß h a fter zu werden gedenkt? In einer guten Zeit in Bonn, dort wo der Österreicher Hans Eschberg Direktor war, konnte Nikolaus Büchel seit 1981 als Schauspieler und Regieassistent erste Proben bestehen. An der Seite von ersten Regisseuren: Rudolf Noelte, Peter Palitzsch, Hans Hollmanns und des genialen, früh verstorbenen Grazers Horst Zankl – der ebenso wie Büchel nie ganz heimisch wurde in Deutschland. Im Berliner Schillertheater ( Bernhards ,,Deutscher Mittagstisch“), in Frankfurt („Heimatlos“ von Gruber/Prestele, Taboris „Goldberg-Variationen“), Stuttgart, Mainz, Tübingen, Münster, Nürnberg, Darmstadt arbeitete Nikolaus Büchel als Regisseur. Zwischendurch kam er auf kurze Engagements nach Innsbruck (mit Nestroys ,,Talisman“). Den Dichter in Schnitzlers „Reigen“ spielte er in einer Tourneeproduktion. Als es 1993 hieß, das Wiener RondellKino sollte ein Theater werden, bewarb er sich darum ebenso vergebens wie alle anderen, denn das Theater wurde nie gebaut. Für das Wiener FaTheater inszenierte er 1994 groteske Einakter von H. C. Artmann unterm Titel ,,Der Kaspar darf nicht sterben“. Als Kodirektor trat Nikolaus Büchel in Kiel an. Doch das Dreier-Leitungsteam zerfiel im Frühjahr 1997 wegen organisatorischer Schwächen, gegen die sich der Schauspielchef ( Büchel) und der Opernchef (Kirsten Harms) durch ihren Organisationschef abgesichert fühlen konnten. Ein Irrtum: Das Defizit des ersten Jahres betrug über 20 Millionen Schilling. Daß Nikolaus Büchel mit sparsamen Mitteln aufwendigste dramatische Dichtung zu Publikumserfolgen machen kann, beweist er seit drei Jahren in Melk. Freiluftbühnen brauchen viel Erfindungsgabe, Fingerspitzengefühl, Respekt vor den Spektakelerwartungen des Publikums – und gute Nerven: Denn der Feind heißt Regen. Nikolaus Büchel ist ein verblüffender BeinaheAlleskönner, der sich durch alte und neue Texte durchkämpft und sie zuletzt wie mit leichter Hand serviert. Er hat viel hinter sich und viel vor sich.