Ein kleiner, vergessener Zettel …
Norbert Silberbauer hat viele Tore in der ersten Liga geschossen, ein pfeilschneller Flügel, der als Fußball-Jugendlandesmeister mit dem Handball begonnen hat, als Eggenburg in die Staats-liga A aufgestiegen ist. Im dritten Jahr hat er nach einem Kreuzbandriss als eines der größten Talente des heimischen Handballs mit dem Spielen aufgehört.
,,Bis dorthin war ich ein maßlos eitler, selbstbezogener Typ, der sich für Sport und sonst absolut nichts interessiert hat, weil ich aus dem sportlichen Erfolg soviel Identität gewonnen habe, also ich wäre nie auf die Idee gekommen, einem Mädchen ein Liebesgedicht zu schreiben“, sagt Silberbauer und erzählt aus seinem Leben: Geboren am 9. Mai 1959 in Eggenburg, Gymnasium in Horn und Krems, danach Studium der Germanistik und Geschichte in Wien. ,,Ich habe definitiv bis zum Ende meines Studiums kein Wort freiwillig geschrieben, habe dann im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands das Akademikertraining gemacht und dort eines Tages beim Kopierer einen Zettel gefunden, einen kleinen Zettel, auf dem gestanden ist: das Konzentrationslager Groß-Rosen teilt Ihnen mit, Ihr Mann ist am so und so vielten verstorben, wir bedauern, die Asche können Sie gegen fünfzig Reichsmark bekommen, und ich habe mir gedacht, was bleibt von einem Menschen über: ein kopierter Zettel, den jeder vergisst und der noch dazu verlogen ist. Es hat mir keine Ruhe gelassen, wie es der Frau geht, die diesen Zettel bekommt, und dann habe ich darüber eine Geschichte geschrieben, dreizehn Seiten, der erste Text, den ich in meinem Leben freiwillig geschrieben habe“, sagt Norbert Silberbauer über seine Erzählung „Eine tägliche Begegnung.
Sie erschien in einem Sammelband, war im Radio zu hören, und die Dramatisierung war im Theater zu sehen. Er startete mit 26 Jahren relativ spät, aber fulminant, doch das Schreiben war zu-nächst ,,nichts Wesentliches“, denn eigentlich war geplant, dass er im Dokumentationsarchiv angestellt wird. Doch einen Tag vor Schulbeginn kam der Anruf des Landesschulrates: Wollen Sie an der Handelsakademie in Retz unterrichten, ein Jahr Karenzvertretung? Sie haben eine Stunde Zeit für die Entscheidung – ,,und so bin ich Lehrer geworden. Aus diesem einen Jahr wurden fünfzehn, zufällig.
Im Roman Franz erzählt Silberbauer in 14 Stationen die Geschichte eines Vertragsbediensteten im Archiv der Landesregierung: Als Radrennfahrer ein Jugendlandesmeister, dann ein Unfall, Matura, Studienabbruch, Ehe, Kind, Tagträume von einer Karriere als Maler, Lebensrealität Häuslbauer, der übliche kleinbürgerliche Wahnsinn, der mit Scheidung undArbeitslosigkeit endet, doch Franz kommt davon, der letzte Satz des Buches lautet: Nach seinem Tod wird wohl jemand sagen, er sei ein Vorbild gewesen. Der Zynismus des Textes ist lakonisch, seine Komik hat etwas Abgründiges: Jeder brachte seine VerzweifiungalsMitgiftin die Ehe … was Gottverbindet, hält die Raika zusammen. Der Roman ist als Kurzgeschichte geplant gewesen –„mit jeder Station eine Seite, aber das hat sich dann ausgewachsen, ich
habe ihn im Laufvon sechs, sieben Jahren x-mal neu geschrieben, ab einem gewissen Moment konnte ich einfach nicht mehr aufgeben. Und habe mir dann auch gedacht, warum sollte man ein sozusagen normales Leben nicht so erzählen können, dass es spannend wird. Das war die Herausforderung.“
Neben Schule und Roman schrieb er Stücke, die beim Sessler-Verlag erschienen. Die verlorene Weltreise wurde aufder Studiobühne Villach aufgeführt, Der Himmel oben in Potsdam und Asyl beim ,,Donaufestival“. Norbert Silberbauers Literatur hat kein Generalthema, aber seine Geschichten haben aber immer mit der Welt zu tun, er steht in einer naturalistisch realistischen Tradition mit Wolfgruber und Innerhofer. Die Liebesgedichte des Bandes Schön und irr (Deuticke, 1997, 3. Auflage) haben keinen Titel. Erzählt wird von den Krisen einer Beziehung, doch es geht nicht um Liebe, sondern um das Gewinnen, am Ende der Geschichte gibt es einen Verlierer: „Folglich verlasse ich dich heute I und die nächste werde ich noch früher verlassen. I Mit der übernächsten werde ich I erstgar nichts anfangen I und ab dann
nie wieder verlieren.“
Silberbauers Weltsicht hat sich geändert – „ich würde heute die FPÖ nicht ernsthaft beschreiben, sondern sie als Kasperln zeichnen, insofern ist Iro-nie und Spott das neue Thema meines Lebens. Für die literarische Richtung, in die ich mich entwickle, sage ich drei Namen: Woody Allen, Billy Wilder und George Tabori. Auch in der Prosa.“ Die Prägung durch den Sport äußert sich in seinem Alltag als Ehrgeiz und Konsequenz – „natürlich habe ich das in den Literaturbetrieb übernommen, nur ist es da eben viel schwerer in die Nationalmannschaft zu kommen, dieses Ziel ist sicher eine Antriebsfeder.“
Norbert Silberbauer nimmt sich Zeit für Freunde, aber nicht für Kino, nur seine Lieblingsfilme sieht er sich immer wieder an, einer davon ist „Der Zug des Lebens“: Galizien 1941/42. Es gibt da eine Szene, in der die als Nazis verkleideten Juden und die als Häftlinge verkleideten Juden am Sabbath beten. So ein absurdes Bild der Welt vergisst du nicht.“