Otmar Biringer

Sonderpreis
Kulturinitiativen – Soziokult. Handeln

Das Kultodrom als Pionier der kulturellen Regionalisierung

Kreisky hatte soeben seinen dritten Wahlsieg eingefahren, der erste Ölpreisschock war da, und das Wort Soziokultur war noch gar nicht erfunden. Das Weinviertel als Region wurde bestenfalls als sterbender Landstrich an der toten Grenze wahrgenommender Eiserne Vorhang war ein unüberwindliches Hindernis. Kultur gab es in der fernen Bundeshauptstadt; in der Region selber wurde das Banner der Kulturvon ein paar spinneren Einzelkämpfern hochgehalten, ihrer Zeit weit voraus und den Leuten nicht ganz geheuer. So war das im Jahr 1975. Was für ein weites Feld für Menschen mit Sendungsbewusstsein und einer Vision: Das Kultodrom wurde geboren. Kultur in den Dörfern, schon gar ,,alternative“ Kultur jenseits der tradierten Angebote, vom Kirtag bis zur Blechmusik – das war neu. In den Worten des Kultodrom hieß das: Einladen von Künstlern, die man sonst nirgends in erreichbarer Entfernung zu sehen bekommt, von Beginn an verbunden mit dem Willen zur Förderung von jungen Talenten aus dem Weinviertel. Und zugleich sollten die Besucher dazu ermutigt werden, selber kulturell tätig zu werden, von der Teilnahme an Workshops bis zum Durchführen von eigenen Kulturveranstaltungen. Sich neben der damals noch sehr in der Vergangenheit behafteten traditionellen Kultur zu positionieren war mutig und von Erfolg gekrönt. Von Anfang an konnten Mitglieder aus dem gesamtenWeinviertel und auch aus Wien gewonnen werden – ein Beleg für die Richtigkeit des Ansatzes des Kultodrom. Von Anfang an sah man sich auch als eine nicht nur örtliche, sondern regional tätige Gruppe. Daher wurde nicht nur Mistelbach Schauplatz von Kultodrom-Aktivitäten, sondern das gesamte östliche Weinviertel: Wolkersdorf, Herrnbaumgarten, Laa/ Thaya, Michelstetten. Übrigens in der Zwischenzeit durchwegs Standorte für eigene Kulturvereine von großer Bedeutung für die Region. Es ist ja heute kaum mehrvorstellbar, daß die 25 km zwischen Laa/Thaya und Mistelbach ein echtes Hindernis fürjunge Leute aufder Suche nach Kulturangeboten darstellte. Vom heutigen Grad der Mobilität war keine Spur, und wenn man in eine andere Stadt kommen wollte, mußte man sich absprechen und koordinieren. Dieser Blick über die Stadtgrenzen hinaus dokumentierte sich auch im Interesse an überregionalen Vereinigungen: Das Kultodrom zählt zu den Gründungsmitgliedern des Kulturnetz Niederösterreich, der IG Kultur Österreich und des European Forum of World Music Festivals. Auch die NÖ Kulturvernetzung wurde vom Kultodrom in maßgeblicher Position mitbegründet. Jede Kulturarbeit in der Region ist soziokulturelles Handeln. In der regionalen Kulturarbeit geht es nicht in erster Linie um Besucherzahlen und Budgets, sondern um eine Bewußseinsbildung bei den aktiven und passiven Nutzern des Kulturangebotes. Es geht um Nachhaltige Kulturarbeit. Dieser in der Umwelt- und Wirtschaftspolitiklängst selbstverständliche Begriffdes nachhaltigen Handelns muß auch in die Kulturpolitik Einzug halten: Nachhaltige Kulturarbeit bedeutet die vorrangige Umsetzung von regional und örtlich gut verankerten Kulturprojekten unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen, die Einbindung von regionalen Besonderheiten, egal ob landwirtschaftlich, geologisch, ökologisch, historisch oder wirtschaftlich und die Abstimmung aufdie vorhandenen personellen Ressourcen. Das wertvollste Gut der kulturellen Nachhaltigkeit sind daher Menschen, die Aktivitäten setzen und Ideen, die sich vor Ort ohne grobe Eingriffe in die vorgegebenen Rahmenbedingungen verwirklichen lassen.Kulturelle Nachhaltigkeit bedeutet auch einen Anti-Eventkultur-Ansatz: Nicht Einkaufeines möglichst großen, möglichst spektakulären, aufwendigen und teuren und von weit hergeholten Events, sondern Nutzung der vorhandenen Ressourcen für die Umsetzung von regional gebundenen, unverwechselbaren, gewachsenen Kulturereignissen.Und genau an dieser Stelle findet sich die Schnittstelle zur Volkskultur. Die wesentliche gesellschaftspolitische Funktion der regionalen Kulturarbeit besteht im Anbieten einer eigenen Werteskala, die einen klaren Gegenpol zur den großen Trends der Gegenwart darstellt: Weg von der Globalisierung, der Austauschbarkeit aller Produkte, der Ent-Individualisierung derMenschen, der Metamorphose zum Doppelwesen Arbeitskraft Konsument, der Definition von Zufriedenheit und Glück einzig über materielle Angebote. Regionale Kulturarbeitbedeutet eine Re-Individualisierung der Menschen, das Sichtbarmachen der Besonderheiten und unverwechselbaren Eigenschaften eines Lebensraumes, seiner Wurzeln, Geschichte, seiner Möglichkeiten, seiner Zukunftschancen. Nicht zuletzt auch die wirtschaftliche Leistung der regionalen Kulturarbeit ist von großer Bedeutung. Mit einem Minimum an Strukturen, Ressourcen und Geldmitteln wird ein Maximum an Kulturoutput erzeugt. Und so ganz nebenbei wird ein wesentlicher Beitrag zurBelebung des Kleingewerbes geleistet, von der Druckerei bis zu den Anbietern von Gästebetten. Und wie sehen die Visionen des scheidenden Langzeit-Obmannes Otmar Biringer aus? Kulturarbeit, und zwar die im kleinen geleistete, freiwillige, unbezahlte, im Verborgenen blühende Kulturarbeit soll zukünftig den Stellenwert bekommen, der ihr schon lange zukommt: Gleich gewertet neben den etablierten Kulturanbietern, die sich vornehmlich in den Ballungszentren finden, soll die regionale Kulturarbeit im Bewußtsein der veröffentlichten Meinung, der Verwaltungseinheiten und der Politiker auf allen Ebene an ihrer gesellschaftspolitischen Wichtigkeit gemessen werden. Die erstmalige Verleihung eines Preises für Kulturinitiativen und Soziokultur ist daher so wie das Viertelsfest und die Einrichtung der Kulturvernetzung NÖ ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt aufeinem langen vor uns liegenden Weg, an dessen Ende die Gleichstellung in der Wertigkeit und in der finanziellen Ausstattung der großen etablierten Kulturanbieter und der kleinen regional verankerten Kulturanbieter steht. Eine inhaltliche Gleichstellung ist ja bereits gegeben. Abschließend das Kultodrom in Zahlen, in kurzer Form: Das Kultodrom feiert im September 2000 sein 25-jähriges Bestehen In dieser Zeit wurden unter anderem 11 internationale Folk-Festivals mit insgesamt rund 100 Künstlern und Gruppen aus 5 Kontinenten und zwei Weh-Kinderfeste durchgeführt, daneben wurde eine riesige Zahl an Künstlern eingeladen, von regionalen Nachwuchshoffnungen bis hin zu internationalen Stars der Weltmusik, es wurden rund 500 Veranstaltungen durchgeführt, Konzerte, Lesungen, Ausstellungen, Vorträge, Theaterstücke, Musicals, kurz das gesamte Spektrum des kulturellen Schaffens beleuchtet In den Worten von Otmar Biringer: ,,Das Kultodrom ist stolz darauf, immer mehr als nur ein Veranstalter gewesen zu sein.“

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2000