Pädagoge, Domkapellmeister, Veranstalter
Keine Kunst ist in ihrer Entwicklung so sehr gehemmt durch ihre Lehrer wie die Musik. Denn niemand wacht eifersüchtiger über sein Eigentum als der, der weiß, dass es genau genommen nicht ihm gehört! (Arnold Schönberg) Nein, der 1957 in Gaal in der Steiermark geborene Otto Kargl, aufgewachsen ebendort in einem Landgasthaus in der Nähe der Benediktinerabtei Seckau im «Spannungsfeld von Volkslied und gregorianischem Choral, Alkoholikern und Mönchen und im Umfeld einer sing- und musizierfreudigen Großfamilie», hemmt mit seiner Unterrichtstätigkeit am Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese Sankt Pölten keinesfalls die Entwicklung der Musik und den Werdegang musizierender Menschen. Seit 1991 gibt der vielseitige wie bescheidene Ausnahmekönner in den Fächern Gregorianik, Chordirigieren und Chorsingen das kostbare Wissen einer musikalischen Tradition weiter, damit jene wertvollen Informationen über Kunst- und Handwerk weiterleben, nicht verloren gehen, somit uns allen gehören und folglich einen jeden bereichern und beglücken. Kargl ist nicht einer jener vielen selbstbezogenen Talentevernichter in den Talentevernichtungsanstalten einer sich selbst genügenden universitären Kunstwelt. Er ist ein engagierter, die Neugier entzündender, Mut zusprechender, inspirierender «Ermöglicher». Ich meine: Es ist nicht der Berufsmusiker, der Musiker, der von seiner Kunst lebt, der nötig ist, um die musikalische Kultur aufrechtzuhalten, sondern es ist der Amateur, und es ist immer der Amateur gewesen, der wirkliche Kunstpflege gefördert hat. (aus einem Brief Arnold Schönbergs an einen französischen Musikliebhaber, 6. Januar 1950) Von 1984 bis 1992 arbeitete Otto Kargl als Regionalkantor der Diözese Sankt Pölten und seit 1992 als Domkapellmeister. Die Chor- und Kirchenmusikpflege bedeutet nicht nur ein gemeinsames Werken und Wirken mit «professionellen», sprich Berufsmusiker(inne)n. Viele «Amateure» stellen ihre wertvolle Freizeit in den Dienst einer gemeinsamen Sache: des engagierten Musizierens. Dieser ungemein kostbare Kulturvermittlungswert kann in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht hoch genug geschätzt und bewertet werden. Das betrifft die Arbeit mit den musizierenden «Amateuren» (Französisch für einen, der etwas liebt) wie auch die oftmals hervorragende Leistung der musizierenden «Dilettanten» (Italienisch für einen, den etwas entzückt). In diesem Sinn leistete Otto Kargl in all den Jahren als Chorleiter und Dommusikkapellmeister Wunderbares, wirklich Einzigartiges – selbstverständlich, bescheiden, unermüdlich, unbeirrbar. Seit 1992 wirkt Kargl als künstlerischer Leiter des Kirchenmusikfestivals Musica Sacra in Niederösterreich und erstellt jedes Jahr ein musikalisches Programm, das abseits aller Komfort- und Ohrenwellness sehr viel bewegt. Kargl orientiert sich nicht an den ausgetretenen Pfaden einer stets nach neuen (Über-)Reizungen lechzenden Eventkultur. Der Domkapellmeister lädt ein zu einer gemeinsamen Suche: nach neuen Hörerlebnissen, welche die musikalische Tradition sowie selbstredend auch die Moderne betreffen. An- und Zuhören, Mit- und Weiterdenken, Dialog und Diskurs sind ihm wertvolle Anliegen. Weit über die Grenzen Niederösterreichs hinaus wirken Otto Kargls Impulse. Selten findet man ein solch lebendiges Kirchenmusikfest in den europäischen Kulturlandschaften: ein Herz, Seele und Geist bewegendes Klangereignis, wohltuend fern jedweder Weltanschauungsdogmatik. Otto Kargl, Domkapellmeister und Freigeist am Dom zu Sankt Pölten, bekam den Würdigungspreis für Musik des Landes Niederösterreich zugesprochen. Endlich. Wir gratulieren von ganzem Herzen. Möge Otto Kargl, ein Musiker der Kirche und als solcher folglich ein wahrer «Kirchenmann», auch weiterhin viele «Con- und Dissonantien» erzeugen, lehren und veranstalten, «… damit diese eine wohlklingende Harmonie zur Ehre Gottes und zulässiger Ergötzung des Gemüths» ergeben. «Denn es könnte doch vielleicht durchaus möglich sein», so Johann Sebastian Bach in seiner Schrift «Kurtzer Unterricht von den sogenannten General Bass», dass allzu leicht sonst Folgendes geschieht (zum Beispiel bei fehlenden Dissonantien): «Wo dieses nicht in Acht genommen wird da ists keine eigentliche Music, sondern ein Teuflisch Geplerr und Geleyer.»