Hauptgebiet: Herz- und Kreislaufpharmakologie
Prof. DDr. Otto Kraupp ist seit 1971 Vorstand des Pharmakologischen Institutes der Universität Wien. Mit seiner Person sind aber nicht nur die Geschicke des Institutes, sondern auch die der gesamten Wiener Medizinischen Fakultät aufs engste verbunden, hat er doch das Amt des Dekans unterbrochen durch drei kurze Perioden als Prodekan seit dem Jahre 1975 inne.
Er wurde 1920 als Sohn eines Mittelschullehrers in Krems an der Donau geboren, ging in Baden zur Schule (wo er übrigens auch seinen jetzigen Wohnsitz hat) und legte am dortigen Gymnasium im Jahre 1938 die Matura ab. Während des Krieges diente er bei der Luftwaffensanität, wurde aber zum Medizinstudium freigestellt, welches er in München begann und in Wien beendete. Im Jahre 1944 promovierte er zum Doktor der gesamten Heilkunde. Unmittelbar nach Kriegsende begann er auch ein Chemiestudium an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, welches er 1952 mit der Promotion zum Dr. phil. abschloss. Seine Dissertation befasste sich mit ,,Synthese undAbbaureaktionen des Triäthylendiaminringes“. Nach dreijähriger Tätigkeit am Physiologischen Institut in Wien trat er 1950 als Assistenzarzt in das Pharmakologische Institut unter Franz von Brücke in Wien ein, wo er schon im Studienjahr 1946/47 kurzzeitig als Gastarzttätig gewesen war. Hier habilitierte er 1956, wenige Jahre später erhielt er den Berufstitel eines außerordentlichen Universitätsprofessors. Im Jahre 1967 nahm er den Rufaufden Lehrstuhl für Pharmakologie und Toxikologie an der Ruhr-Universität in Bochum an, im Jahre 1971 wurde er-nach dem Tod Brückes an das Wiener Institut berufen und mit seiner Leitung betraut.
Die Anfänge von Kraupps wissenschaftlicher Tätigkeit fallen mit dem Beginn seines Chemiestudiums zusammen. Die anfänglichen Arbeiten lagen auf fermentchemischem Gebiet und wurden schließlich durch die organisch präoperative Richtung seiner ihm von seinem ersten Lehrer Ebert zugewiesenen Dissertationsarbeit bestimmt. Im letzten Jahr seines Chemiestudiums wandte er sich bereits unter dem Einfluss seines späteren Lehrers Brücke der Muskelpharmakologie zu. Zunächst noch im Rahmen von Teamarbeiten, später aber immer selbständiger, wurden vor allem die Wirkungen neuromuskulär lähmender Stoffe durchstudiert. Die vor allem von Brücke und Werner begonnenen Studien über die Pharmakologie der Bischolinester setzte Kraupp an den Biscarbaminoylesternfort, wobei hier die das pharmakologische Screening eines neu entwickelten, durch seine hohe Wirksamkeit und lange Wirkungsdauer gekennzeichneten Muskelrelaxans, dem Hexamethylencarbaminoylbischolin (später als Imbetril“ in die Therapie eingeführt) besonders hervorzuheben ist. Die von Kraupp angeregte Abwandlung der Struktur der Biscarbaminoyle zu langkettigen Esternvon Dicarbaminoylsäuren mit Trimethylammoniumphenolen, führte zu außerordentlich stark und lang wirksamen Hemmstoffen der Acetylcholinesterase, die in einer Reihe von Arbeiten in ihrem Wirkungsspektrum aufgeklärt und von denen einige, wie das Demecarium oder das Distigmin, später mit Erfolg in der Pharmakotherapie der Myastenie, des Glaukoms und der Magen-, Darm und Blasenatonie eingeführt wurden.
Neben der Entwicklung von neuromuskulär wirkenden Pharmaka beschäftigte sich Kraupp auch mit dem Wirkungsmechanismus derartiger Substanzen. Hier sind vor allem die Studien über die Kaliumfreisetzung aus der isoliert durchströmten, innervierten und denervierten Skelettmuskulatur zu erwähnen. Der Nachweis der enormen Steigerung der Kaliumfreisetzung durch Acetylcholin nach chronischer Denervierung sowie die an Hand der Kaliumfreisetzung durchgeführte Charakterisierung depolarisierender und curareartiger Muskelrelaxantien haben international Beachtung gefunden.
In seinem eigentlichen Hauptgebiet, der Herz- und Kreislaufpharmakologie, führte die Entdeckung, dass bestimmte Ester der Trimethoxybensoesäure mit Bisoxyäthyldiaminen eine langanhaltende koronar- und cerebralgefäßerweiternde Wirkung besitzen, zu eingehenderen Studien über die Autoregulation der Sauerstoffversorgung von Herz und Gehirn. Im Vordergrund des Interesses stand ein möglicher Zusammenhang zwischen Stoffwechselvorgängen und Durchblutung. Zu diesem Thema liegen von Kraupp Publikationen über die Korrelation zwischen Durchblutungsänderungen und Änderungen der Substrataufnahme und des Sauerstoffverbrauchs des Herzens vor. Studien über die Substrate des Intermediärstoffwechsel unter den verschiedensten Stoffwechselbedingungen, wie Hypoxie und Diabetes, dienten dabei zur Erstellung von Modellvorstellungen über Rückkoppelungseffekte des Substratstoffwechsels auf die Herzdurchblutung. Dabei wurde erstmalig die Wirkung des Adenosins, eines ubiquitär im Organismus vorkommenden Abbauprodukts der Purinnukleotide, auf den Substratstoffwechsel im Myokard beschrieben und eine führende Rolle anärob glykolytischer Vorgänge für die Auslösung von Durchblutungsstörungen verantwortlich gemacht.
Besondere Beachtung verdienen die von Kraupp und seinen Mitarbeitern im Bochumer Institut durchgeführten Untersuchungen über die Wirkungvon indirekten Sympathomimetika auf den Lungenkreislaufund die Dynamik des rechten Herzens. In diesem Zusammenhang wurde eine pulmonale Widerstandssteigerung nach Zufuhr des Appetitzüglers Aminorex erstmalig im akuten Tierexperiment festgestellt, was einen wichtigen Anhaltspunkt für die Risikobeurteilung von Sympathomimetika darstellte. Als Anerkennung seiner Forschungsarbeiten aufdem Gebiet der Herz- und Kreislaufpharmakologie wurde Kraupp Anfang der Siebzigerjahre die Abfassung des Herzkapitels des Lehrbuches „Allgemeine und experimentelle Pharmakologie und Toxikologie“ (Hrsg. W. Forth, D. Renschler, W. Rummel) übertragen, dass zwischenzeitlich ein pharmakologisches Standardwerk für Medizinstudenten im deutschsprachigen Raum geworden ist und demnächst seine sechste Auflage erfährt.
Aufgrund seiner Kompetenz und Vielseitigkeit, die auf einem profunden medizinischen Fachwissen und außerordentlicher Allgemeinbildung basieren, nicht zuletzt aber auch aufgrund seiner beruflichen Stellung wurde er in eine Reihe einflussreicher Gremien gewählt, wie den Obersten Sanitätsrat, Präsident des wissenschaftlichen Beirats der Ärztekammer, wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher „Leopoldina“. Ende der Siebzigerjahre war er vier Jahre Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie.
Seine Intentionen als Vorstand des Pharmakologischen Institutes lagen in der Etablierung eines vielfältigen Forschungsspektrums, wobei er seinen Mitarbeitern immer freie Hand in der Wahl ihrer Forschungsrichtung ließ. Arbeitsschwerpunkte des Institutes reichen von der Kreislaufpharmakologie, die sich am Gesamtorganismus orientieren muss, über die Neurotransmitterfreisetzung, den epithelialen Elektrolyttransport bis zur Calziumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum und der Rezeptor-vermittelten Signaltransduktion, wo biochemische und molekularbiologische Methoden dominieren. Seine guten Kontakte zur pharmazeutischen Industrie führten nicht nur zu wertvollen Anregungen in der Forschungsarbeit, sondern garantierten auch in Zeiten budgetärer Engpässe eine kontinuierliche Forschungsfinanzierung.
In seine erste Amtsperiode als Dekan fiel die Umstellung des Fakultätsbetriebes nach den Richtlinien des neu gegründeten UOG, und derzeit liegt seine Hauptarbeit in der Erstellung der neuen Klinikstrukturen und die Vorbereitung der Übersiedlung in das neue AKH. Aufgrund ihm eigener politischer Fähigkeiten ist es ihm oft gelungen, Wünsche und Vorstellungen der Fakultät gegenüber den Ministerien erfolgreich zu vertreten. Für einen Nichtjuristen beherrscht er die Paragraphen des UOG in beeindruckender Weise. Seine Emeritierung mit Ablauf des heurigen Studienjahres wird sowohl für das Pharmakologische Institut als auch für die Fakultät den Verlust einer großen Persönlichkeit bedeuten.