Nähe des Unvereinbaren
Schrägstriche im Text. Ob sich der Autor nicht entscheiden kann? Zwischen Kieselsteinen und Rosenkranzperlen, Schlepper und Chrysanthemenstern, Schritten und Stöckelschuhen, nagelten und hagelten. Die Stellen im Satz sind doppelt besetzt, die Autorin schenkt sich das Wie des Vergleichs, oder der Unterschied ist nur ein einziger Laut. Gleichzeitigkeit des Ähnlichen. Gemeinschaft des Verschiedenen. Nichts liegt näher beieinander als das Unvereinbare. Trennflächen, durchsichtig, zwischen Ebenen. Im Aquadrom werden die Menschen zu Fischen, die sie pflegen oder verspeisen, und die Fische werden zu Menschen, die sie betrachten. Der Fisch ist ein Symbol für eine Wandlung, eine Umwandlung, eine Verwandlung, aber das Symbol ist die gegebene Identität des Zweifachen, Mehrfachen, das sich von nah oder von fern unterscheidet. Die Lautgestalten und ihre Bedeutungen oszillieren; die Menschen, die Gestalten, die Räume oszillieren. Sie neigendazu, ein und dasselbe zu sein. Sie gleiten, sie entfliehen der Schwerkraft und entfalten ihre eigene Fliehkraft. Die Betrachter werden betrachtet, die Innenzone verlegt sich nach außen, das Unterbewußte wird bewußt, das Uneigentliche wird eigentlich, Gelb hat sein Sprechen zu den Fischen getragen und ist mit dem Schweigen der Fische zu uns zurückgekommen. Die Bewohner der Texte, neben Fischen, Hunden und Vögeln, sind Traumgestalten, manchmal namenlos, umrißlos, mit offenen Identitäten. Die Traumgestalten verlassen den Traum und gehen in eine Wirklichkeit und kehren zurück in den Traum unter Mitnahme wirklicher Dinge, Bilder, Gefühle. Sie bewegen sich traumwandlerisch wie die Wörter, streben vorwärts mit unklarem Ziel. Vorbeiflutende Wörter/Dinge wie Wasserhaut, Flaggensträhnen, das aufgerissene Maul eines Koffers. An den Fensterkreuzen lehnt schräg der lange Abend mit glitzernden Lidern und ein wenig oxydiert. Der Rost ist vom Eisen auf den Abend übergegangen, der Abend hat ein Gesicht, das Fenster schaut zu uns herein. Der Traum hat, wie man sagt, seine eigene Sprache. Er fährt, wird gesagt, auf zwei Achsen: Verdichtung, Verschiebung. Man sagt: Ungemein dichtes Sprachgewebe, Haarflechten, Spinnennetz. Alle Stellen werden besetzt, doppelt und dreifach: Jede Person ist in der Mehrzahl. Die Satzräume eng gemacht. Und trotzdem atmen die Wörter, vielleicht fischig, kiemig. Zusammensetzungen, zweifach, mehrfach: Schüttguttanks, Morgensturzgebet, Blutpochen, wolkenfüßig. Wolkenfüßig? Ja, wolkenfüßig: die Ganga rt der Traumgestalten. leichter als Kork tanzte ich auf den Wellen … Die Füße sinken nicht ein, das trunkene Schiff rillt die Wasserhaut. Oder die Hauptwörter in wunderlicher Begleitung, rohe Gefälligkeiten, speichelhechelnde Zungensonne, taubgestellte Ohren. Oder das Verwechseln zur Methode, aber unauffällig: ich reise unter leichtem Namen und mit falschem Gepäck. Seufzt der Reisende: Wäre doch jeder Wechsel so einfach wie der Wechsel von einem Ort zum anderen. Der Sog der Wörter/Gestalten schwappt nachaußen, zum Leser: Natürlich ist da ein Anspruch, bevor der Sog wirkt, ein Anspruch an Aufmerksamkeit. Konzentration gegen Konzentration. Das ist nur gerecht, der Gewinn umso größer. Ein Tauschverhältnis. Dann aber Lautfolgen, Bildfolgen. Der Ton weckt den Rhythmus, der Rhythmus die Bilder, und umgekehrt, umgekehrt. All das ist gemacht, man sieht gleichsam die Hände. Einlegearbeit, das fordert Geduld. Aus farbigen Plättchen. Aber das vorherrschende Licht, das sich um die Gestalten legt oder von ihnen abstrahlt, ist nicht dunkel, nicht hell, sondern ein Zwielicht. Sodaß die Farbigkeit auch wieder gedämpft wird. Steingrau vielleicht. Vom Tagesgeschehen abgekoppelt. Die Rückseite des Tagesgesschehens weisend, in Labyrinthe führend, dorthin und weg. Manchmal bleibt ein Geschmack dieser unscheinbar rückseitigen Sätze zurück. Alles war so wie immer, eine Spur besser sogar. Was wir bisher von Patricia Brooks kennen, sind Kurzgeschichten, Balladen, bildkräftige Prosagedichte, Wortgebilde mit seltsamen Refrains. In den beiden letzten Texten ihres bisher letzten Buches (Feuerfahrt. Winterspiel) eröffnet die sprachliche Dichte plötzlich in eine Weiträumigkeit, die ganze Erzähllandschaften ahnen läßt. Die Gestalten, nicht weniger traumwandlerisch als früher, stürzen sich in Dialoge, die sie ins Ungewisse treiben wie sonst die Bilder den Betrachtenden. Es kommt zu beiläufig-unerhörten Ereignissen. Eine Frau frißt vom Fleisch in der Hundeschüssel und schämt sich hernach. Eine Brieftaube wird von einem Kind mit einem Feuerwerkskörper abgeschossen. Ganz am Ende bemerkt das aus der Geschichte herausfahrende Paar zwei Scheinwerfer im Rückspiegel, die sich in gleißende Raubvogelaugen verwandeln. Die Phantasie der Patricia Brooks hat ihren Weg gerade erst aufgenommen.