Paul Kont – ein österreichischer Komponist
Am 19. August 1990 feierte Paul Kont seinen 70. Geburtstag von der Offentlichkeit nahezu unbeachtet. Wenn man bedenkt, wie Geburtstage von Künstlern vergleichbarer Bedeutung oft zelebriert werden, ist allein diese Tatsache schon symptomatisch. Es soll jetzt nicht die Legende von einem österreichischen Schicksal beschworen werden, zu mar Kant nicht verbittert zu Hause sitzt und sich über mangelnde öffentliche Anerkennung beklagt, sondern unermüdlich ein Werk nach dem anderen hervorbringt. Natürlich ist es ihm nicht gleichgültig, dass es nach den Erfolgen der 50-er und 60-er Jahre in den letzten Jahren still um ihn geworden ist, er freut sich aber lieber an den positiven Dingen, als in melancholischer Nostalgie zu verharren. Und immerhin wurden im Rahmen des Wiener Musiksommers 1990 zwei Werke von ihm aufgeführt. Das Österreichische Fernsehen erinnerte sich anlässlich von Kants Geburtstag an dessen Kammeroper ,,Peter und Susanne“, die er 1959 wie manches andere Werk für das damals junge Medium Fernsehen geschaffen hatte. Und am 27. November wird sein Klaviertrio ,,En Rose et Noir“, das er im Auftrag der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien komponiert hat, vom Wiener Schubert Trio im Brahms-Saal des Musikvereins uraufgeführt.
Die Freude, die Kont – wie jeder Komponist – empfindet, wenn ein Werk aufgeführt wird, wird bei ihm häufig durch mangelnde Qualität der Ausführung gemindert. Denn wenn auch manches Werk beim bloßen Hören oder beim ersten Hinsehen leicht erscheint für die Interpreten sind seine Kompositionen meist mit einigen Schwierigkeiten gespickt. Und nicht selten waren Uraufführungen aufgrund mangelnder Proben unzulänglich, wobei Kritiker dann leicht die Schuld beim Werk und nicht bei der Ausführung suchen. Die Schwierigkeiten für die Musiker liegen in der Neuartigkeit der Tonsprache Kants, die hier nicht im Detail analysiert werden soll. Dies kann in Fachpublikationen nachgelesen werden, und vor allem hat der Komponist selbst in zwei grundlegenden theoretischen Arbeiten, seinem Buch ,,Antianorganikum“ (1967) und seinem Aufsatz ,,Entwurf der Neuen Tonalität“ (1971), der in mehreren Zeitschriften publiziert wurde, seine Erkenntnisse ausführlich dargestellt. Hier nur so viel: Das Neue seines kompositorischen Ansatzes besteht in einem Zurückgehen auf die natürlichen Voraussetzungen der Musik, aus denen Kant aber in seiner Konsequenz und Schärfe des Denkens Ergebnisse erzielt, die derart von herkömmlichen Arbeitsmustern abweichen, daß sie in der Tat revolutionär zu nennen sind. Sie haben aber nichts gemein mit bloß intellektuellem Avantgardismus. Damit befindet sich Kant ,,in einem rechten Niemandsland …, dem unwirklichen Streifen zwischen der gewachsenen Musik von gestern und den desperaten neuen Strukturen, die eine noch, die anderen schon weltweit legitimiert‘ , wie er es selbst einmal formuliert hat.
Geboren und aufgewachsen ist Kant im Wien der 20-er und 30-er Jahre, deren geistiges und politisches Klima von extremen Gegensätzen geprägt, vielleicht aber gerade deshalb besonders anregend war. Ohne je politisch aktiv zu sein, brachte ihn sein kritischer Geist, seine aus tiefster Seele kommende Ablehnung jedweder Unterdrückung oder Diskriminierung in manche Schwierigkeit. Wenige Wochen nach dem „Anschluss“- im Frühjahr 1938 – legte Kont die Matura ab und begann im darauffolgenden Herbst seine Studien an der Musikschule der Stadt Wien (heute Konservatorium). Der junge Kont hatte vielfältige künstlerische Talente. Zuerst schien es eher, dass er sich ganz der Schriftstellerei widmen würde; auch als Zeichner und Maler hatte er ein starkes Ausdrucksbedürfnis, und bis heute hat er enge Verbindungen zur Literatur und zur bildenden Kunst. Einer seiner besten Freunde war der allzu früh verstorbene Maler Kurt Moldovan, und mit dem ebenfalls bereits verstorbenen Gerhard Fritsch etwa hat er den Text zu seiner Kammeroper ,,Peter und Susanne“ verfasst.
In der Folge kristallisierte sich jedoch die Musik bald als seine eigentliche Berufung heraus. Das durch den Kriegsdienst zwangsweise unterbrochene Studium konnte er 1945 fortsetzen. Kont war jetzt Hörer der Musikhochschule (damals Musikakademie) in Wien, bereits 1948 schloss er seine Studien mit dem Kompositions-Diplom ab. Seine Lehrer waren Josef Lechthaler (Komposition), sowie Hans Swarowsky und Josef Krips (Dirigieren). Bei Josef Polnauer absolvierte er ein Privatseminar in Formanalyse. Durch den frühen Tod von Josef Lechthaler war er gezwungen, die Diplomprüfung bei Joseph Marx abzulegen, was nicht auf Anhieb gutgehen konnte.
In der äußerst lebendigen Kunstszene im Wien der frühen 50-er Jahre war Kont eine wichtige Persönlichkeit. Er lebte damals freischaffend, vorwiegend von Film- und Theaterkompositionen, hatte aber auch mit Kammermusikwerken erste Erfolge. 1951 nahm er an den Darmstädter Ferienkursen teil (Wolfgang Fortner). 1952 verbrachte er einige Monate in Paris und lernte dort unter anderem Olivier Messiän, Darius Milhaud und Arthur Honegger kennen, wobei, wie er sagt, ihn Messiän am stärksten beeinflusst habe. In den folgenden Jahren reiste er viel war oft in Italien, erregte internationale Aufmerksamkeit mit der von Walter Felsenstein in Auftrag gegebenen Oper ,,Lysistrate“, die 1961 in Dresden uraufgeführt wurde, und gewann 1967 mit dem für das Fernsehen geschriebenen, auf einem Text von W. H. Auden basierenden Mysterienspiel „Inzwischen den UNDA-Preis in Monaco. Es war dies wohl der Höhepunkt seiner internationalen Anerkennung. Von 1969 an lehrte er an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien und richtete das Fach Medienkomposition ein. Seit einigen Jahren ist er emeritiert und widmet sich ausschließlich der Komposition.
Dass es in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit sehr still um Paul Kant geworden ist, mag damit zusammenhängen, dass er einerseits nicht mehr in eigener Sache bei diversen Veranstaltern antichambriert, seine Musik keiner Mode gehorcht und oft (ja sogar meist) ohne äußeren Auftrag entsteht. Wie Kont immer wieder betont, reichen die Pläne für manches Werk, das er jetzt ausarbeitet, oft Jahrzehnte zurück. Nun hat er die Zeit, sie auszuarbeiten, ohne Rücksicht auf zu erwartende Aufführungen. Er schreibt nieder, was er zu sagen hat, ohne nach dem kurzzeitigen Erfolg zu schielen, und sehr oft tut er dies in seinem Refugium im niederösterreichischen Langenzersdorf am Bisamberg.
In mehrfacher Hinsicht symptomatisch ist es, dass für Kant unter den Komponisten der Vergangenheit heute Schubert das Ideal darstellt, der Primat der Melodie vor der motivischen Arbeit, das ,,mit dem Ende Weitergehen“. Und gibt es einen österreichischeren Komponisten als Schubert? In diesem Sinne ist auch Paul Kant ein sehr österreichischer Komponist.