Paul Rotterdam

Bildende Kunst

Nachempfinden

Der Maler Paul Zwietnig-Rotterdam, geboren 1939 in Wiener Neustadt, lebt und arbeitet in New York. Die folgenden Ausführungen umreißen seinen künstlerischen Werdegang und legen Zeugnis über seine Aktivitäten, die ihn nach Wien, Rom, Paris, Graz, Brüssel, Boston, New York und Tokio führten. Es ist ein internationaler Künstler, der 1982 den Kulturpreis für Bildende Kunst des Landes Niederösterreich erhält. Nach wie vor hält er mit seiner Heimat Kontakt -zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen in Niederösterreich beweisen dies. Den Großteil seiner malerischen Arbeiten nennt Paul Rotterdam „SUBSTANCES“ (Gehalte) – meines Ermessens nach könnten sie auch „Inhalte“ heißen. Trotz ihrer Wirklichkeit sind die Werke realisierte Unwirklichkeit – festgefrorene Impulse, die ihr Sein aus dem Selbstverständnis des Ursächlichen schöpfen. Es wird wohl Stoffliches geboten, aber nicht so, daß Gegenstände dem Künstler und Beschauer ihre Dinghaftigkeit aufzwingen, es sind vielmehr Bilder, die ihre Existenz keineswegs anderen Bildern verdanken: die Suche nach dem hinter dem Wesen der Dinge verborgenen Urgrund hinterläßt ihre Spuren. Paul Rotterdam ist für mich Mystiker, denn seine Malerei spiegelt die Kunst wider, durch die Stille zu sprechen, um eine Botschaft zu vermitteln, die man nicht durch das Sehen allein ,,HÖREN“ kann. Man muß, um diese Bilder erleben zu können, wegsehen- man muß der eigenen Individualität, über den Bildimpuls hinaus, die Chance der inneren Sammlung geben, um die hermetische Botschaft Rotterdams empfangen zu können. Rotterdams Bilder sind die Abkehr von einer objektiv empfindbaren Wirklichkeit. Die Rezeptur einer Anwendung ist daher wesentlich anders als bei Werken, die mit der objektiv erfaßbaren Welt stärker verbunden sind. Sicher werden die Bilder Rotterdams manchen verwirren, so fremd und scheinbar widersprüchlich erscheint der Bildanlaß. Einerseits ist dieser ein zutiefst humaner, andererseits schreckt die Brutalität des Schöpferischen: Das Schöpferische drängt nicht zur Harmonie, sondern zur Neuordnung und damit in der Übergangsphase zum Chaos, das sich später in einer neuen Ordnung organisiert, die ihrerseits neuerlich in Frage gestellt wird. Ein permanentes Werde und Vergeh. Das Schöpferische ist zugleich auch das Zerstörende – ein Paradoxon, ein scheinbarer Widerspruch in sich. In diesem Spannungsfeld stehen nun die Arbeiten Paul Rotterdams. Ruhe und Harmonie kommt durch Gleichförmigkeit, durch Repetition, aber Rotterdam repetiert in seinem Werk keine geläufigen Erfolgsmuster, die dann als Stil akzeptiert werden, sondern er erobert das Bildfeld von Mal zu Mal neu. Er bietet dem Betrachter die Möglichkeit eines erweiterten Wahrnehmungsprozesses, der über das reine Sehen hinausreicht. Seine Bilder sind Farbmeditationsfelder, die durch überraschende Strukturänderungen, Brechungen, Verletzungen, Auslassungen und Collagierungen auch Bildwitz vermitteln. Leidenschaftlichkeit ist seinen Bildern aber fremd. Es sind stille Bilder, die die Spannung in sich tragen. Trotz aller Intentionalität dominiert aber dennoch die ordnende Kraft Rotterdams. Die Bilder wirken durch eine scheinbar sachliche Distanziertheit, die aber dennoch vertraut und intim wirkt- ein Widerspruch in sich! Die Senkrechte und die Waagrechte im farbigen Feld sind Bildelemente, die in Rotterdams Bilderwelt eine wichtige Rolle spielen: Die Senkrechte als das Symbol des Männlichen, des Dynamischen, des Feuers, des Baumes und die Waagrechte, gemeint als das Weibliche, Statische, Wasser und Erde geben seinen Bildern einen archaischen, mythischen Charakter. Perspektive ist ihnen fremd, es herrscht die zweidimensionale Einfachheit, aber dennoch gibt es eine irisierende Tiefe, einen chthonischen Urgrund, der in den Bildern zum Tragen kommt und ihnen ein geheimnisvolles Gepräge gibt. Trotz der Widersprüchlichkeit sind es logische Bilder, die Rotterdam produziert: nicht von einer mathematischen Logik, sondern von einer inneren, höheren Ordnung her bestimmt. Paul Rotterdam vertritt keine ästhetische Richtung, die mit der Zeit das künstlerisch Unkalkulierbare, die Überraschung und die Idee verdrängt. Bildermachen heißt für ihn nicht Unterordnung unter ein ästhetisches Diktat, sondern bedeutet ihm Erweiterung des Bewußtseins, eine CONCLUSION von EMOTION und RATIO. Seine Bilder sind ihm Gegenstände, die ihre materielle Unmittelbarkeit transzendieren. In Kenntnis dieser Zusammenhänge möchte ich diese hermetischen Bilder Rotterdams als kongeniale Übersetzung des geistigen Inhaltes der Zengärten mit westlichen Mitteln bezeichnen. In der höheren Logik des Zen wäre die Kunst Paul Rotterdams so zu kennzeichnen: „Zwischen dem Daumen und dem reibenden Zeigefinger liegt die Kunst Rotterdams, die im Denken des Nicht-Denkens, dem Wirken besteht.“ Unser Leben ordnet sich nach kognitiv erfaßbaren Inhalten, Fixpunkten, die im Meer des Unterbewußten schwimmen. Je reifer ein Mensch wird, umso enger knüpft er seine Inhalte, Fixpunkte aneinander – die Welt wird scheinbar klarer, überschaubarer, aber auch kleiner. Wir definieren, bestimmen und urteilen nach jenen kognitiven Kriterien. Auch Kunst glauben wir in ihrer Wirklichkeit (meinen aber fast ausschließlich ihre Stofflichkeit) erfassen zu können. Kunst entzieht sich aber immer wieder einer allgemein gültigen Definition, denn sie passiert genau zwischen den kognitiv erfaßbaren Gegebenheiten: aus einer Mischung von Intention, Begeisterung und Wissen. Aber Wissen (handwerkliches Können, Kenntnis der Kunstgeschichte usw.) alJein prägt noch kein Kunstwerk, dagegen kann eine beliebige ästhetische Floskel als Identität der Begeisterung Kunst sein. Das heißt, erst durch die Einschaltung eines kontemplativen Prozesses wird Kunst möglich. Dieser kontemplative Aspekt wird im Werk Paul Z. Rotterdams gefördert, und daher sind für mich seine Bilder sichtbare Zeichen des Dienstes des Künstlers am Menschen. Die kontemplative Haltung Rotterdams bedingt einen Selbstfindungsprozeß auch des Beschauers, so schmerzhaft dieser auch sein mag. Erst wenn der Künstler, der Mensch sich selbst gefunden hat, hat er auch die Welt des Makrokosmos und des Mikrokosmos in sich und in jedem anderen Menschen vereint und kommt zur Weisheit des ALLES IN EINEM.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1982