Lernräume werden zu Lerndimensionen
Eine kartografische Darstellung von Johannes Putsch aus dem Jahr 1534 zeigt auf dem Kleid der Königin Europa unter ihrem Herzen das Habsburgerreich mit dem damaligen Österreich und Böhmen – ein Kleid, das die Machtverhältnisse dieser Zeit visualisiert. Böhmen wirkt wie ein rundes Ornament.
1995 initiierte Peter Coreth die Kulturbrücke Fratres im kulturellen Herzen Mitteleuropas – als künstlerische und geistige Brücke. Anders als historische Machtverhältnisse zeigt sie, wie künstlerische und kulturelle Erfahrungen Wege über Grenzen, Denk- und Handlungsmuster erschließen können.
Zwei Jahre später eröffnete Coreth das Museum Humanum – seinen „kleinen Schauplatz großer menschlicher Imaginationen“ – mit einem ungewöhnlichen Vermittlungskonzept. Er bringt Werke menschlicher Schöpfungskraft in Beziehung, lässt Verbindungen entstehen oder bewusst auflösen. Vor allem zeigt er eins: Die Welt ist denkbar, gestaltbar, veränderbar.
Coreth lädt ein zum Beobachten und Hinterfragen und achtet darauf, dass „keine Kultur an den Maßstäben einer anderen Kultur gemessen wird“. Er erschuf damit nicht nur Lernräume, sondern ganze Lerndimensionen:
eine vermittelte Dimension zwischen Weltbildern, ethischen Haltungen sowie politischen und ästhetischen Meinungen;
eine humanistische Dimension des Mitgefühls, der Anteilnahme und des Respekts;
eine künstlerische Dimension, interdisziplinär gestaltet.
Kulturvermittlung bei Coreth ist stets auch Beziehungsarbeit. Die Besucher*innen bringen ihre Herkunftsgeschichten, Wahrnehmungen und Vorstellungen ein und finden zueinander durch den künstlerischen Austausch, der Vergangenheit mit Gegenwart verschmelzen lässt – stille Betrachtung ebenso wie lauten Dialog.
Die letzten Jahrzehnte unserer Geschichte haben Staatsgrenzen völlig neue Bedeutungen gegeben. Wo einst der „Eiserne Vorhang“ das Bild prägte, sehen wir heute bei Fratres im Waldviertel ein grünes Band statt einer Grenze. Nur die letzten, verfallenen Zollhäuser und ein gelegentliches Schild mit der Aufschrift „Vorsicht Staatsgrenze – Pozor státní hranice“ erinnern an vergangene Kontrollen.
Peter Coreth prägte die grenzüberschreitende Kulturarbeit durch unzählige Workshops, Symposien, Ausstellungen und Tagungen. Die Kulturbrücke Fratres verbindet seit mehr als 25 Jahren Menschen aus den benachbarten Regionen Niederösterreich, Vysočina, Südböhmen und Südmähren – und wirkt weit über Mitteleuropa hinaus. Sie belebt historische kulturelle Netzwerke und schafft neue Wege für die Zukunft.
Die Brücke ist manchmal unbequem und sperrig, aber immer hungrig nach neuen Erkenntnissen und Interpretationen, die Menschen schon oft dabei geholfen haben, sich selbst zu erkennen. Mit dem Würdigungspreis der Kulturpreise des Landes Niederösterreich in der Sparte Erwachsenenbildung wird Coreths Engagement ausgezeichnet.
Sein Wirken lebt den europäischen Gedanken, verbindet Kontinente und zeigt, wie Kultur Menschen über Zeit, Grenzen und Herkunftsgeschichten hinweg zusammenführen kann. Mit dem Museum Humanum nimmt Coreth uns auf eine Wanderschaft durch rund 30.000 Jahre Menschheitsgeschichte mit – und zurück zu uns selbst, zu der Frage: Wer sind wir?
Ob als Darstellung Europas als Königin oder als Bild der Kulturbrücke, Peter Coreth zeigt uns: Alles hängt davon ab, welche Gestalt wir unseren Gedanken geben.