Jenseits der Kunstideologien
Im Jahr 1987 zeigte er noch Ölbilder und Aquarelle auf Schloss Wartholz, wo Otto von Habsburg das Licht der Welt erblickte. 1988 hatte er das Reichenauer Kurtheater übernommen. So ist das bei Peter Loidolt. Es geht immer Schlag auf Schlag. Der Prinzipal wirkt bodenständig, energisch, praktisch. Doch vergisst er nie, dass er auch Künstler ist. Diese Mischung bewährt sich im Reichenauer Kurtheater. Der Ort ist ein historischer. Hier war im Fin-de-Siecle die Sommerfrische der österreichischen Literatur, hier erholten sich Peter Altenberg und Arthur Schnitzler, Alma Mahler und Franz Werfel, Robert Musil und Hugo von Hofmannsthal. Die Sommerfrische hat ihren eigenen Reiz. Da lässt sich schmachten und dichten, intrigieren, marschieren und flanieren. Das Altmodische, Gemütliche ist Bestandteil der Aura-und alles erscheint nicht so ernst.
1988 in Reichenau war das aber ein bisschen anders. Ein „reißender Wolf“ namens Claus Peymann hatte 1986 das „geheiligte“ Wiener Burgtheater mit seinen Bochumer Mannen „besetzt“. Das Publikum war empört. Teilweise protestierte es laut, teilweise floh es, zum Beispiel an die Rax. Das aber war noch nicht das Entscheidende. Denn natürlich hatten die ,,deutschen Regietheaterprovokationen“ in der Burg längst vor Peymann begonnen. Das Entscheidende war, dass der Burg-Windmacher viele Burgschauspieler nicht mehr beschäftigte und es sich dabei keineswegs um die zweite, dritte oder vierte, sondern auch um die erste Garnitur handelte. Und diese fand sich gern bei Peter Loidolt ein; welcher in seiner cleveren Prinzipalenart die Mimen machen ließ, was sie im neuen Burgtheater schmerzlich vermissten: einfach spielen, nicht dressiert werden.
So entstand in Reichenau die ,,Gegenburg“, und diese hat inzwischen mit einem Exil in der Provinz nichts mehr zu tun. Reichenau bietet mit vielen Höhen und wenigen Tiefen unprätentiöses, trotzdem kunst- und anspruchsvolles Theater. Über schwer nachvollziehbare Regiegags muss sich hier keiner Gedanken machen, denn es gibt sie nicht. Der Bürger – falls man den Reichenauer Zuschauer so nennen will kann hier Theater als Feierabendvergnügen im edelsten Sinne des Wortes genießen – ohne sich für seine ,,mangelnde Progressivität“ genieren zu müssen. Das ist angesichts der allerorten grassierenden Experimentierwut- die unzweifelhaft positive, aber auch negative Ergebnisse bringt eine Qualität, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Ein simpler Grund für die Ausstrahlung des Reichenauer Theaters ist: es muss Kasse machen. Das tut es, so gut, dass Loidolt nicht mehr weiß, wie er Zusatzvorstellungen unterbringen soll, ohne dass die Spielverve verloren geht und so gut, dass der rührige Intendant demnächst eine Erweiterung des Zuschauerraumes plant. Allein mit der ,,Contra-Peymann-Linie“ als Treibsatz wäre Reichenau wohl nie so weit gekommen.
Was wird geboten? Begonnen wurde mit, Karl FarkasSchau’n Sie sich das an“, wobei Karlheinz Hackl und Robert Meyer deutlich machten, dass es eben doch funktioniert, die alten Kabarettnummern glanzvoll wiederzubeleben. Schnitzlers Einakter, ,,Komtesse Mizzi“ und ,,Literatur“, wirkten 1989 noch etwas patiniert. 1994 bei Schnitzlers „Komödie der Worte“ in der Regie von Wolfgang Hübsch fehlte bereits das noble Understatement. Das Ensemble war wieder durchwegs erlesen (Hübsch, Nentwich, Maresa Hörbiger, Andre Pohl, Franziska Sztavjanik), der Ton schneidend, das Schlachtfeld Liebe beklemmend. 1992 hatte man sich gar an das ,,Weite Land gewagt und-wieder mit Hübsch in der Hauptrolle einen außergewöhnlichen Erfolg gelandet. Diesem Burgflüchtling scheint übrigens die Ferne von seiner „Heimat“ besonders gut zu tun. Nach anfänglichen Abstürzen gelang ihm ein künstlerischer Quantensprung.
Am gefragtesten ist natürlich Nestroy. Wer wäre für diesen Dichter besser als Robert Meyer? Sein Titus Feuerfuchs war 1990 ein derartiger Renner, dass ihn das Burgtheater übernahm allerdings in der ,,seriösen“ Regie von Achim Benning. Seit 1993 füllt ,,Der Talisman“ nun die Inspirations und Dispositionslücken der Burgführung bravourös. 1992 kam Nestroys ,,Zerrissener“ mit Hackl/Meyer in den Hauptrollen. 1993 „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, 1994 „Höllenangst“.
Inzwischen wagt man sich auch an Riskanteres wie Franz Werfels Flüchtlingsdrama Jacobowsky und der Oberst“ und heuer sogar an eine zeitgenössische Uraufführung: „Dichter, Flucht und Alma“, eine groteske Farce vom österreichischen Autor Alexander Widner, die naturgemäß die Meinungen weit auseinandergehen ließ. Doch Loidolt hat inzwischen nicht nur Publikum und Status gewonnen, er hat auch die verschiedensten Kritiker „überstanden“. Immer seltener wird über das „nette“ Reichenau die Nase gerümpft. Die Qualität hält auch strengerem Urteil stand. Wenn das Publikum aber bei Zeitgenössischem ,,auslassen“ will, dann wird es vom Prinzipal wirkungsvoll ermahnt: Kein Nestroy, kein Schnitzler-ohne auch eine Karte für Widner zu nehmen.
So erzählt es jedenfalls Loidolt selbst und angesichts des Ansturms auf Billetts darf man ihm glauben. Aufnahmesperre hat der Verein Kunst & Künstler in Reichenau, mit dessen Mitgliedschaft auch eine Option auf Billetts erworben wird. Hier ist Loidolt in vornehmer Gesellschaft. Die Salzburger Festspiele halten es bei ihrem Förderverein ebenso – und hatten trotzdem nach Gerard-Mortiers-Reform Schwierigkeiten. Fazit: Auch das Konservative kann eine Qualität sein.
Claus Peymann schnitt sich jüngst nach anfänglichem Nörgeln – vom Reichenauer Erfolg ein Scheibchen ab. Er meinte, es seien ja seine Burg-Mimen, die ,,dort draußen in Salzburg und in Reichenau spielen. Tatsache ist: Das Publikum hat über Reichenau längst abgestimmt. Und es bedarf auch nicht mehr wie heuer im sommerlichen Rechnungshofkampf um das Burgtheaterdes Auftritts der kompletten ÖVP-Regierungsmannschaft bei Schnitzler in Reichenau, um den Stellenwert des Loidolt-Unternehmens zu demonstrieren. Über Kunstideologie ist dieses längst hinaus.