Und dennoch tragen wir Namen
Peter Paul Wiplingers geistigen Standort in der Annäherung an sein Werk ausfindig zu machen, ist einfach und schwierig zugleich. Einfach, weil Wiplinger deutlich, unmissverständlich gegenjede Unmenschlichkeit anschreibt, den Holocaust, den Genozid am Balkan, die Leiden der Ausgegrenzten, das Elend der Heimatlosen ohne Umschweife benennt, den Leser schonungslos mit seiner Sprache konfrontiert („Braun/ Das waren nicht die Kokarden// Das war die Feigheit/ der Hass und der Tod“), und seine Ethik nicht als Intention nur gestaltend vermittelt, sondern ausspricht, hinschreibt: Wir brauchen Dichter/die sich nicht beugen/die starrköpfig sind/und gegenjede Erniedrigung.“
Schwierig ist es, seinen Standort zu gewahren, weil man auf diesem Weg ihm ins Schweigen, ins Keine-Worte-mehr-Finden folgen und Trauer, Verzweiflung, Einsamkeit annehmen muss. „Verwundet zurückgekehrt/aus den Worten/ins Schweigen“ sagt er in einem jener vielen Gedichte, die in die Stille führen, „heimatlos heimkehren/ins verborgene Licht“, an anderer Stelle „wieder erlernen / die stille das Schweigen//nicht mehr vergeuden/die Worte/die Zeit“, und ich kehre als fremder/zu mir selber zurück“. Das Gedicht ,,haslach 54″ des 1939 in Haslach Geborenen weist in nicht mehr reduzierbarer Symbolik seine Blickrichtung aus: an das Haus/erinnere ich/mich nicht//nur an den Platz/davor/Ian die Fugen/zwischen/den Steinen“
Als 10. Kind in Haslach im Mühlviertel geboren, in bäuerlichen Lebensformen aufgewachsen, bevor er das humanistische Gymnasium absolvierte und in Wien Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie studierte, hat er früh das Spannungsfeld erfahren, das seine geistige Existenz prägt. G. Sebestyen sagt: „Die conditins humaines des Beginns, dieses bäuerliche Dasein mit seiner natürlichen Ausrichtung nach dem Jahreszyklus und zugleich dem Antrieb, dem Zyklischen einen Sinn zu geben und es trotzdem eines Tages zu durchbrechen, sind ahn bar. In seiner Herkunft trägt W. die Disposition, sich der Wirklichkeit zu stellen und zugleich die gegebene Wirklichkeit zu überwinden. Die Spannung zwischen den beiden Möglichkeiten erzeugt Energie, aber auch einen Zwiespalt, der nicht aufgelöst werden kann“, und weiter „Wiplingers Zeichensprache zielt auf die größtmögliche Dichte der Vermittlung.“ Erich Fried spürt in Wiplingers Werk „jene nur scheinbar unerbittliche Verknappung, die in Wirklichkeit die Worte und einzelne Zeilen härtet, um der Unerbittlichkeit der Gegenkräfte standhalten zu können“, Alexander Giese rühmt die Gedichte ,,als Lebenszeichen gegen das Inhumane, gegen die Lüge, gegen das Verschweigen“, Paul Wimmer schreibt über Wiplingers Arbeit ,,Kunst wird wieder zum ethischen Vorgang“. Wiplinger selbst sagt von seinen Gedichten, dass sie ,,im Wissen um das Eingebettet sein in einen größeren Lebens-, Denk- und Sinnzusammenhang ihren Ursprung und ihre Begründung haben“. Mir will im Versuch der Annäherung aufgehen, dass er den Leser drängt, mit größtmöglicher Intensität jedes Wort eher zu spüren als nur zu verstehen, etwa, wenn er in dem Gedicht „Inferno“ lakonisch schreibt „weiße Tücher/im Raum/schreie/und stöhnen//wortlos /bin ich“.
Wortlos, sprachlos schreiben, reden, benennen, mit dem Empfinden für die Unfassbarkeit der Vorgänge trotzdem Fassbares sagen – in dieser Notlage, das Geschehen nicht adäquat vermitteln zu können („die einzig mögliche Anmerkung/zu eurer qual und eurem Tod/wäre verstummen“), und doch zugleich nicht schweigen zu dürfen, erzwingt Wiplinger die knappen Fügungen, das nicht-blasphemische, nicht-behübschende, nicht-verschleiernde Wort, die peinlich-nackte Wahrheit: „wien zweiter bezirk/taborstraße tandelmarktIvon zeit zu zeit/komme ich dorthin/parke meinen wagen Iin einem hinterhofIsehe ich mauern hinauf/und denke/hier sind sie gestanden/in derkälte /schweigend/mit ihren bündeln/bereit zum abtransport/ohne zu wissen wohin/
Als Lyriker, Kulturpublizist und künstlerischer Fotograf mit über 40 Ausstellungen im In- und Ausland sucht er unmittelbares Erleben auch dort, wo keine Fremdenverkehrswerbung Lockmittel fände, und ergänzt mit der Kamera den Blick auf das, was die Sprache jeweils nicht aufzunehmen vermag. Einige seiner zahlreichen Bücher sind schon vor Jahren in Übersetzungen im Ausland erschienen, und die Übersetzungen nehmen zu. Mindestens ein Band („Herzschlüge“) enthält Liebesgedichte. Als Kulturpublizist hinterfragt er auch die eigene Arbeit: „… verstehe ich diese Zeichen, die ich selber gesetzt habe, verstehe ich ihre Wahrheit?“ I der Selbstbeschränkung um ethischer (od. religiöser) Werte willen bleibt er sicher: „Keine Eingriffe in die Gewissenslandschaft.“