Peter Wolsdorff

Darstellende Kunst

In St. Pölten begann’s…

Peter Wolsdorff, nach eigener Aussage als „Preuße“ geboren, hat sich für Österreich entschieden, seit er als Künstler dieses Land betreten hat. Und hier wiederum wurde Niederösterreich zu einem Fixpunkt seines Lebens und seiner Karriere. Der Würdigungspreis des Landes erreicht ihn für lange, kontinuierliche Arbeit, die das Profil des Theaters der Landeshauptstadt St. Pölten über ein Jahrzehnt lang geprägt hat. Wolsdorff, Jahrgang 1938, empfing erste Eindrücke vom Film, erwog eine Laufbahn in diesem Medium, wandte sich aber dann doch dem Theater zu. Sein erstes Engagement nach dem Schauspielunterricht in Baden-Baden erhielt er inSt. Pölten. Damals, im Oktober 1963, debutierte er als Jaromir in Grillparzers ,,Ahnfrau“ und blieb in der Folge für zwei Spielzeiten hier. Dass er als Intendant wiederkehren sollte, konnte er nicht ahnen, dass er in Österreich bleiben würde, war ihm klar. ,,Ich wurde ganz schnell ,eingeösterreichert“, sagt er.
Die klassische Karriere des PeterWolsdoff führte über Baden bei Wien, wo er auch Operette spielte (,,Man fand, daß ich mich in den Uniformen der k.u.k.Offiziere gut ausnahm“), in Wiener Kleinbühnen, nach Graz und schließlich an das Volkstheater in Wien. Gustav Manker (,,Von ihm konnte man sehr viel lernen!“) engagierte Wolsdorff 1974, und er ist durch drei Direktionen hindurch bis 1991 am Haus geblieben. Hier den Faust gespielt zu haben, bedeutete für ihn ebenso einen Markstein wie die ersten Möglichkeiten, Regie zu führen. ,,Das war der ,Bürger Schippel‘, und ich habe auf Anhieb den Skraup-Preis dafür bekommen“, freut er sich noch heute. Seither hat er seine Inszenierungen nicht mehr gezählt, „ich führe nicht Buch, aber jede einzelne war als Geschenk für das Publikum gedacht.“ Wolsdorffs erster Anlauf, auch als Intendant zu wirken, ergab sich – nach einigem Zögern, wie er sagt-als man im alten Amphitheater von Carnuntum Sommerspiele plante. Er denkt an die sieben Jahre seiner dortigen Arbeit gerne zurück, stellte romantische Komödie in den altrömischen Rahmen und hätte es wohl länger gemacht, wären die Subventionen nicht zunehmend dünner geworden. Als die Stadt St. Pölten 1991 für ihr Theater einen neuen Intendanten suchte, fragte man auch bei Wolsdorffan. Er bewarb sich und wurde gewählt -wenn seine Tätigkeit im Herbst 2002 endet, wird er die Schicksale des Hauses elf Jahre lang gelenkt haben. ,,Anfangs habe ich gezögert“, sagt Wolsdorff, ,,dann empfand ich nach mehr als zwei Jahrzehnten, die ich als Schauspieler und Regisseur am Volkstheater verbracht hatte, die Idee, selbst Verantwortung für ein Haus zu haben, als Herausforderung. Ich stelle an das Theater besondere Anforderungen und habe versucht, daß es unter meiner Leitung den Auftrag als ,moralische‘ und künstlerische Anstalt und solcherart als Vermittler von Werten wieder übernimmt.“Dabei hat Wolsdorff, der seine Intendanz mit dem großen Toleranz-Drama der deutschen Literatur, Lessings ,,Nathan der Weise“, begann, stets ,,politisches“ Theater gemacht, es aber nie parteipolitisch als „Agitprop“ mißbrauchen lassen. Im Gegensatz zu Theaterdirektoren, die aufdas Neue um jeden Preis setzen, ungeachtet zweifelhafter ideologischer Positionen und anfechtbarer Ästhetik, ging Wolsdorffden ,,konservativen“ Weg, was heutzutage schon mutig genannt werden muß. Was nicht bedeutet, daß sein Spielplan sich nur an der Vergangenheit orientiert hätte. Wolsdorff hat während seiner Intendanz über 24 Uraufführungen herausgebracht, darunter einige Auftragswerke: ,,Und wenn wir in der letzten Spielzeit ,Ein Fest für Nathan‘ von Dieter 0. Holzinger spielen, dann schließt sich der Kreis, der einst mit ,Nathan‘ begonnen hat. Der heutige Nathan versucht zu zeigen, wie die ,Ringparabel‘ im heutigen Isräl aussieht.“ In all seinen St. Pöltner Jahren hat Wolsdorff nur ein einziges Mal anderswo inszeniert (Brechts ,,Guten Menschen von Sezuan“ in Linz), und er hat auch nur einmal selbst gespielt ( den himmlischen Konzipisten in Molnars „Liliom“): „Ich hatte einfach zu viel zu tun, ich war mit Haut und Haar mit der Direktion befaßt.“ Wolsdorffhat höchstens zwei-, dreimal im Jahr selbst inszeniert, vor allem die Klassiker, an denen sein Herz hängt, ,,die lasse ich mir nicht verschandeln“, wie er meint. „Faust“, „Don Carlos“, „Wilhelm Tell“, „Nathan der Weise“, „Der zerbrochene Krug“ hat er sorgsam in Szene gesetzt. Prominente Wiener Schauspieler wie Hilde Sochor, Ernst Stankovski, Herwig Seeböck, Peter Uray, Wolfgang Böck u.a. haben gern den Weg nach St. Pölten genommen, um dort große Rollen zu verkörpern. Andere Regisseure hat Peter Wolsdorff mit Feingefühl ausgesucht und ihnen dann die Freiheit gelassen, ihre Arbeit zu tun, ,, und im großen und ganzen ist es mir gelungen, daß alles meiner Vorstellung von Theater entsprochen hat.“ Wenn es beispielsweise bei dem Stück ,,Leonce und Lena im Internet“ ein wenig Unruhe im Publikum gab, ,,so hat mich ein Projekt, das neue Medien aufdie Bühne bringt, doch sehr interessiert, und ich habe mich gefreut, als es vor allem bei der Jugend so gut ankam.“ Wie beurteilt Peter Wolsdorff, der im Herbst seine letzte Spielzeit beginnt, die Jahre seiner Intendanz? „Es hat Spaß gemacht, und es war schön, viel positives Echo zu finden“, meint er. ,,Was nicht so erfolgreich war, lag vielleicht an eigenen Unzulänglichkeiten. Dennoch waren die Jahre als Intendant in St. Pölten die glücklichste und erfüllendste Zeit meines Lebens.“
Besonders stolz ist er darauf, sich nie einer politischen Partei gebeugt zu haben, und daß er stets Kunst um der Kunst willen gemacht hat. ,,Ich habe, um Schiller zu paraphrasieren, dem Menschen im Staatsbürger gedient und nicht dem Staatsbürger im Menschen.“ Dass dies durch künftige finanzielle Bevormundung vielleicht nicht mehr in aller Freiheit möglich sein könnte, hat ihn bewogen, seine Intendanz nach elf Jahren zu beenden. Und wenngleich er nun als freier Regisseur und wohl auch wieder verstärkt als Schauspieler tätig sein wird, reißen die Verbindungen zu St. Pölten keinesfalls ab. ,,Ich habe sehr viel vor“, meint er. ,,Wir werden die Schiller-Gespräche, die ich initiiert habe, weiterführen und auch andere Aktivitäten setzen, vor allem in Hinblick auf die Jugend, die dauernd für das Theater gewonnen werden muß. Ich möchte auch unaufhörlich am allgemeinen Bewußtsein arbeiten, bis sich die Menschen klar darüber sind, daß Kunst und Kultur genau so wichtig im Gefüge des menschlichen Zusammenlebens sind wie Politik und Wirtschaft.“

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2001