…Spektakel von internationaler Dimension
Man schrieb das Jahr 1989. Carnuntum war Besuchern des Niederösterreichischen Theatersommers vor allem als Schauplatz eher schwachbrüstiger Aufführungen bekannt, bei denen die Gelsen entschieden mehr Wirkung erzielten, als das Freilichtmuseum. Dann erschien Fiero Bordin auf der Bildflache.
Der Sohn einer Griechin und eines Venezianers wurde 1947 in Wien geboren.
Die Kunst begann ihn in den 70er Jahren zu faszinieren. Er wirkte u. a. international als Medienkünstler, Aristophanes- Übersetzer und Regisseur ( u.a. Multivisionsprojekt „Hamburg ’75 sowie bereits historische Videoaktionen wie ,,Marathon Art“ und ,,Ariadnes Faden“). Für die größte Ausstellung moderner Kunst in Österreich schuf er das Titelobjekt: „1984-Orwell und die Gegenwart“ (Museum moderner Kunst, 1984) und beteiligte sich mit einer spektakulären Aristophanes-Übersetzung an der Linzer ,,Ars Electronica“ (1987). Seit je am klassischen griechischen Theater interessiert, wird er als anerkannter Aristophaniker ständiger Mitorganisator der internationalen Theatertreffen des Europäischen Kulturzentrums Delphi und ist Mitbegründer des Internationalen Institutes des Mediterranen Theaters, Madrid.
Im griechischen Theater, ja, da ist Bordin firm. Und alle Vergleiche mit deutschsprachiger Bühnenkunst gehen zugunsten der griechischen aus: Der Schauspieler, der von unten, also in schwieriger Position, die Aufmerksamkeit des Zusehers erringen muss – zum Unterschied von der Guckkastenbühne, die es den Mimen ermöglicht, über das Publikum hinwegzuspielen; das Theater als kultisches Fest, einmalig, unwiederholbar. „Ich spiele lieber einmal vor vielen Leuten als mehrmals vor, wenigen“, meint Bordin in aller Bescheidenheit. Eines ist sicher: die Sucht des heutigen Zuschauers nach dem Spektakel, dem Spektakulären, wird damit befriedigt. Und was das Kultische betrifft: Was könnte mehr die Katharsis beschwören als griechisches Theater? Auf diese „Marktlücke“ konzentriert sich Bordin – aus Neigung wie aus praktischen Überlegungen. Denn welche Chance hätte Art Carnuntum, wollte es mit den riesigen Festivalmaschinen Wiener Festwochen oder Salzburger Festspiele konkurrieren? Begonnen wurde mit einem internationalen Symposium. 1990 folgte ,,The Trackers of Oxrhynchus“; einem eigenartig kolonial verfremdeten Sophokles-Text vom Briten Tony Harrison für das Royal National Theater.
Zwei Gelehrte brechen nach einer einstmals griechischen Enklave in Mittelägypten auf, wo die Antike von ihnen Besitz ergreift. Während sich die Briten ihren „herrenmäligen“ Verwandlungsspielen widmen, dürfen die „Fellachen“ fleißig nach Papyri buddeln und werden dafür mit Transistorradios und sonstigem Konsummüll ein bisschen an die Zivilisation angeschlossen. Die showartige Aufführung mitsamt den teils grellen Effekten spaltete die Kritik. Doch Bordin hatte im selben Jahr auch den postmodernen Regie-Guru Robert Wilson eingeladen, der vor dem Schloss Petronell seinen Klassiker ,,Deafman Glance“ wiederbelebte die Welt ein gräuliches Puppenhaus – aus dem im gleichen Jahr bei den Wiener Festwochen Wilsons ,,Black Rider“ zu sehen war. Bei Wilson in Petronell konnte sich jedenfalls keiner über Zuviel Kinkerlitzchen und Turbulenzen beklagen. „Deafman“ ist karg, still wie ein Grab und stellte die Geduld auf eine gehörige Probe. Zwischen „Trackers“ undWilson war Heiner Müllers ,,Medea-Material“ zu sehen, vom Attis Theater in Athen, eine eher im emotionalen Sinne zeitgemäße Mythosversion vom Griechen Theodoros Terzopoulos, die weniger über die Form als über den Inhalt das Publikum ansprach – um nicht zu sagen „ansprang“
Mit dieser ersten Serie hatte Bordin seine „Marktnische“ nach deren Entdekkung auch unübersehbar und effektvoll besiegelt. Es folgte 1991 ein indischer Prometheus vom Sopanam Theater Kerala, die Plautus-Komödie „Curculio“ vom Istituto Nazionale del Dramma Antico aus Syrakus, Italien, „Moskauer Gold“, eine Farce über die jüngere russische Geschichte von Breschnew bis Gorbatschow von Howard Brenton und Tarig Ali ausgeführt durch das Schauspiel Essen in der Regie von Hansgünther Heyme. Den Abschluss bildete im Herbst 1991 wieder ein hochkarätig besetztes Symposion.
1992 kam das New Yorker LaMaMa Theater mit Euripides ,,Iphigenie in Tauris“, das Attis Theater Athen verlieh Aischylos „Persern“ wortgewaltig und plastisch Kontur, und die Tokioter Suzuki Company of Toga brachte einen nicht minder archaischen, kollektiven Wahn beklemmend transportierenden „Dionysos“. 1993 wurde ein spanischer „Minotauro“ von La Cuadra de Sevilla gezeigt, eine „Phädra“ aus Moskau sowie Aristophanes „Lysistrata“ in einer bewußt grotesken Inszenierung der britischen Theaterlegende Sir Peter Hall.
Hall kehrte 1994 wieder mit einem streng gestylten Hamlet, der allein von der Sprache lebte – ins Badener Stadttheater. Bordin hatte Peter Stein, Schauspielchef der Salzburger Festspiele, mit seiner Moskauer Version von Aischylos „Orestie“ ins Freilichttheater von Schloß Petronell lokken wollen. Politische Querelen im Gemeinderat von Petronell machten das Gastspiel unmöglich. ,,Ein Verrückter! Das ist bei mir ein großes Kompliment“, befand Stein über den Gründer von Art Carnuntum. Bordin reagierte schnell und fing Peter Halls „Hamlet“ noch vor der Londoner Premiere ein. So geht’s, wenn im Bühnenleben nicht nur die Bande des Geschäfts, sondern auch die der Freundschaft wirken. Nach einem weiteren Gastspiel der japanischen Suzuki Company im September 1994 im Schloßtheater Schönbrunn gegeben wird Prokofieffs ,,Romeo und Julia“ ist für nächstes Jahr der ganz große Coup geplant: Tony Harrison erarbeitet für die römische Arena von Petronell die ,,Carnuntum Cantata“ über Marc Aurel und dessen Sohn Commodus: Ein Spektakel für Löwen, Tiger, Sänger und Schauspieler.
In Carnuntum vollendete der römische Kaiser Marc Aurel seine stoischen Selbstbetrachtungen, bevor er in Vindobona starb. Bordin gibt dem Niederösterreichischen Theatersommer eine diese sonst weithin fehlende internationale Dimension. Er zeigt, dass nicht nur mit leichter Muse und Sommerg’spritztem während der Ferienzeit Publikum zu gewinnen ist.
Theater vermag eben in vielerlei Ausformungen zu fesseln. Eine der schlagendsten scheint noch immer die Besinnung auf seine Herkunft, seine Wiege, die Antike – wie Art Carnuntum beweist, ein Festival, das den Staub der Jahrhunderte einmal auf dramatische, dann wieder auf komische Weise, immer seriös, aber niemals fad fortbläst. Immer schon gab es für ,,Art Carnuntum“ große überregionale Resonanz. Die Süddeutsche Zeitung widmete Art Carnuntum einen langen Artikel mit dem Tenor ,,Geburt der Tragödie aus dem Geist der Gegenwart.“