Reiner Tiefenbacher

Literatur
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Prosa mit Gewinn

Im Verfassen von Prosa gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Die eine besteht darin, mit großem Fleiß und handwerklichem Aufwand kleine Stoffe so zu erzählen, dass ihnen Bedeutung zuwächst. Ein kunstfertig gezimmertes Möbelstück, das bei allem äußeren Glanz auf eine innere Leere verweist, ist nicht selten die Folge. Sie speist sich aus der existenziellen Beschränkung des erzählerischen Subjekts. Wer von sich nichts herzugeben bereit ist, dem nimmt man auch schön gedrechselte Stücke nur mit spitzen Fingern ab.
Wer hingegen, wie Reiner Tiefenbacher, sich der Welt aussetzt, geht den schwereren, aber auch ergiebigeren Weg. Ein erzählendes Ich, das sich an der Welt abarbeitet, lässt bei kluger Wahl der Stoffe und halbwegs glücklichen Umständen wie beginnende Verliebtheit, brauchbarer Wein und ausreichend Muße, Prosa auf der Höhe der Zeit wahrscheinlicher werden. Die Veränderung des Subjekts, der gelebte Widerspruch zur Umwelt, verändert auch letztere. Aus diesem Grund schreiben realistische Autoren gerne Geschichten, die das erzählerische Subjekt nicht beim Grübeln über den vierzigsten Korb der seit fünfzig Jahren platonisch Geliebten zeigen, sondern, zum Beispiel, über Erinnerungen, die einer hat, wenn er in einer griechischen Hafenstadt sitzt, drei Flaschen Wein trinkt und nicht über den gerade losgetretenen Bombenkrieg auf dem Balkan nachdenkt, der über die Bildschirme flimmert, sondern über das letzte Vermächtnis der Großmutter für den größeren Bruder, ein fünfzig Schillingschein, den der jüngere nach dem Ableben der Großmutter aus einem Versteck holen und dem größeren Bruder geben sollte, denn der werde das Geld sicher brauchen, als größerer Bruder ist er der Welt mehr schuldig als der jüngere. Fünfzig Schilling als wohl gehütetes Vermächtnis eines entbehrungsreichen Lebens, und der Irrwitz der milliardenteuren Vernichtungsmaschinen – das nenne ich einen produktiven erzählerischen Widerspruch.
Es gibt viele derartige Widersprüche in Reiner Tiefenbachers Prosa. Dazu kommt, dass der Autor auch noch über Witz und Lakonie verfügt, was sich nicht zuletzt darin ausdrückt, dass man seine Geschichten mit jener Art von Gewinn liest, die dem Genuss entspringt.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2006