Die Natur schwingt mit
Auf die berühmte ferne Insel würde er Bachs ,,Wohltemperiertes Klavier“ aufgrund seiner „Allumfassendheit“, die späten Beethoven-Streichquartette, weil sie den Schnittpunkt ,,von der strengen klassischen Form zur romantischen Freiheit“ darstellen, sowie Ba rt6ks drittes Klavierkonzert wegen seines überirdische Hoffnung ausstrahlenden Mittelsatzes mitnehmen. Mindestens ebenso aber schätzt Reinhard Süss Debussy, Strawinsky, Ligeti oder Bernd Alois Zimmermann, zumal ihre Werke bei aller Auslotung der Tonalität und Konsequenz nie die Strenge des Schoenberg sehen Oeuvres ausstrahlen. ,,Meine musikalische Sprache basiert grundsätzlich auf einem tonalen Gefüge, wenngleich sie sich immer weiter von traditionellen, ha rmonischen und kontrapunktischen Formen und Strukturen entfernt. Der Begriff ,tonal-‚ steht für den Willen, über kleinmaschige Bewegungen große, auf bestimmte Zentren (in Form eines einzelnen Tones oder Tonraumes, eines markanten Motivs oder Rhythmus) gerichtete Zusammenhänge darzustellen und verständlich zu machen“, charakterisiert Süss folgerichtig auch seinen eigenen Stil. Mit Musik ist der 1961 in Wien geborene, längst im niederösterreichischen Gablitz lebende Süss früh in Berührung gekommen. Ab der dritten Volksschulklasse lernte er über Anregung seiner Eltern Klavier, und als es galt, nach der Matura eine Berufsentscheidung zu fällen, wünschte sich Süss das Musikstudium. Ein Jahr lang vervollkommnete er sich auf seinem Instrument, um dann für die Aufnahmsprüfung am Konservatorium der Stadt Wien entsprechend gewappnet zu sein, wo dann Branko Czuberka und Gabriele Riedel seine Klavierlehrer waren. In der Folge studierte er Klavier bei Ursula Kneihs an der Musikhochschule, wollte aber bald mehr über die Struktur der einzelnen Musik wissen und begann damit am Konservatorium bei den Professoren Seitz, Haidmayer und Schwertsik auch ein Kompositionsstudium, wozu sich noch ein Tonsatzlehrgang bei Peter Barcaba an der Musikhochschule anschloß. 1990 legte Süss die Lehrbefähigungsprüfung für Klavier an der Wiener Musikhochschule mit Auszeichnung ab, und schon ab 1991 lehrt er – dies übrigens bis heute – Klavier und Komposition an einer der größten Musikschulen des Landes: in Staatz-Kautendorf im Bezirk Mistelbach. Mit Klaviermusik hat Süss freilich auch sein offizielles kompositorisches Oeuvre begonnen – 1987 mit dem Opus „Klavierstücke“. Im Jahr darauf kamen seine ,,Neun Lieder“ im Rahmen des ,,Projekt Uraufführungen“ im Wiener Museum des 20. Jahrhunderts zur Uraufführung, ehe dann der Regisseur Stephan Bruckmeier auf den jungen Komponisten aufmerksam wurde und ihn einmalzur Vertonung des ,,Märchens der Großmutter“ nach Büchners „Woyzeck“ einlud. 1989 war Süss mit dem Stück ,,Sieben harmlose Bagatellen“, die er mittlerweile ,,Sieben Bagatellen“ nennt, dann zu Gast im Museum des 20. Jahrhunderts, im Mödlinger Arnold Schönberg Haus, aber auch beim von der Wiener Konzerthausgesellschaft ausgerichteten Musikfest ,,Österreich heute“. Für eine „Salome“-Produktion der „Gruppe 80″ unter der Regie Stephan Bruckmeiers wiederum formulierte Süss die dazu passende Musik, und auch eine Sonatine für Klavier entstand in diesem Jahr 1990. Freilich, sieht man sich dieses Repertoire genauer an, dann fällt einem hier meist auch noch ein bisher kaum bekanntes „Instrument“ auf: die Klumperplatte, was eng mit Süss‘ Frau, der Malerin Gerlinde Thuma, zusammenhängt. Auf der Suche nach Objekten stieß sie auf diese Felsgruppe aus Glimmerschiefer an einem Berghang nahe Meran in 825 Meter Höhe. Sie besteht aus einem geborstenen Basisfelsen, auf dem eine mächtige Schieferplatte liegt, die gegen Osten den Eingang in eine kleine Höhle überdacht. Auf der Schieferplatte liegt eine kleinere Klumperplatte. Durch Inbewegungsetzen schlägt die darunterliegende Platte auf und erzeugt einen mächtigen Klang, der durch den Hohlraum unterhalb der Schieferplatte verstärkt wird. Süss war von den dabei hervorgebrachten Tönen derart fasziniert, daß er sie auf Tonband mitsschnitt und nun mehr als wesentlichen Part für einige seiner Werke zur Verfügung hat – eben die ,,Missa di sasso contra basso“ oder das Trio für Kontrabaß, Klavier und Klumperplatte. Freilich, das angestammte Repertoire verläßt Süss trotz seiner Beschäftigung mit diesem sehr spezifischen Naturphänomen nicht – schließlich hat er zuletzt weiter Lieder geschrieben, Klavierstücke komponiert, auch ein Duo für Posaune und Kontrabaß sowie einen insoferne bildnerisch spektakulär gestalteten Liederzyklus für Sopran und Kammerensemble nach Texten von Bertold Diel, ,,Notiz an Freunde“, als dazu Gerlinde Thuma ein überdimensionales Buch für die Uraufführung im Dezember 1996 im Wiener Theater Scala geschaffen hat.