Robert F. Hammerstiel

Medienkunst
Künstlerische Fotografie

Poesie, Kritik und Ironie

„Einsame, meist alte Menschen werden zu Requisiteuren der Verlorenheit und Vergänglichkeit“ schrieb Wolfgang Hilger 1985 in dem -damals zum, schönsten Buch Osterreichs“- preisgekrönten ersten Fotoband Robert Hammerstiels ,,An Bord“ (erschienen im Verlag Niederösterreichisches Pressehaus!). Heute, fast fünfzehn Jahre später, konfrontiert Hammerstiel die Betrachter seiner Werke unter anderem auch mit 1: 1-Wiedergaben von Yucca-Stämmen, die selbst im Kontext der von ihm nach inhaltlichen Gesichtspunkten geradezu didaktisch inszenierten Ausstellungen nicht so ohne weiteres dechiffrierbar sind.
Wer das Werk des Künstlers seit längerem verfolgt, muss von den ab 1990- seit den ,,Salzburger Blättern“, großformatigen Abbildungen von Geschenkpapieren mit Blumenmustern im Format 1: 1 -entstandenen Arbeiten irritiert sein. Zuerst verabschiedete sich Hammerstiel für lange Zeit vom Bild des Menschen. I 994 schrieb Michäl Müller im Katalog zur Ausstellung ,,make it up“ im Bremer Focke-Museum, die eindringliche Spannung in Hammerstiels Arbeiten der Jahre I 988-1 994 verdanke „sich auch deshalb der Abwesenheit der Menschen in den Photographien, weil so die Anwesenheit des Betrachters imaginiert werden kann“. Der Autor lässt allerdings offen, welchen „Betrachter“ er meint- den Fotografen als den Betrachter der abgelichteten Wirklichkeit oder den Betrachter der Fotografien?
Dann schien Hammerstiel das Interesse an der erzählenden Kraft der Fotografie verloren zu haben – und sich selbst in medientheoretischen Diskursen. Die jüngste und bisher umfangreichste Ausstellung Hammerstiels in der Saarbrückener Stadtgalerie bot eine Anordnung fotografischer Surrogate, die besonders deutlich zeigte, wie der Künstler ein Thema mit Hilfe einer dialektisch strukturierten Methode inszeniert, die er seit vielen Jahren verfeinert hat, ein Dreischritt aus Poesie, Kritik und Ironie – wobei letztere auch als Gradmesser für die Reife seines Werkes herangezogen werden kann, ging sie seinem Frühwerk doch zur Gänze ab.
„Glücksfutter“ ist der Name dieser Inszenierung, und er wirkt nicht weniger ironisch, poetisch und kritisch wie „make it up“ (1993/94) oder „Der Stand der Dinge, Osterreich“, eine Ausstellung, die 1991-1992 an sechs Orten in vier europäischen Ländern gezeigt wurde.
In den Katalog von „Der Stand der Dinge“ hat Hammerstiel die ersten von ihm als Kind mit sieben oder acht Jahren im heimatlichen Pottschach gemachten Fotografien aufgenommen. Bei den Portfolios, die „Der Stand der Dinge“ vereint, ging es ihm, wie er selbst geschrieben hat, um die alltägliche, abgenutzte, abgewohnte und ,,somit nicht mehr bewusst wahrgenommene Intimität“. Um jene der „Heimat“ also. Die Titel der einzelnen Kapitel von „Der Stand der Dinge“- „Grüne Heimat“, „Mittagsporträts“ und „Public Intimity“ – sprechen für sich. Und es ging, speziell wohl auch mit den „ersten Bildern“, um die ,,Instandsetzung einer Erinnerung“ (R.F.H.). Aber jede Erinnerung ist mehr Konstruktion als Rekonstruktion; sie instand setzen kann nur heißen, sie wirksam zu machen für jetzt und die Zukunft- sie in den (ihr zukommenden) Stand setzen.
Instandsetzung, „Der Stand der Dinge“, „Stand-Orte“ als Titel für die Fotografien von aufgelassenen, verfallenen Tankstellen (I 988, publiziert von der Blau-Gelben Galerie des Niederösterreichischen Landesmuseums)… Einen Standpunkt zu beziehen, sich zugegen machen, das ist Hammerstiel wichtiger geworden, als zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort auf den Auslöser eines Fotoapparates zu drücken. Das überlässt er neuerdings sogar anderen. Für „Rin-tin-tin“ sind einige Familien in seinem Herkunftsort in Niederösterreich mitsamt ihrem Haustier vor die Kamera eines Studiofotografen getreten. Das heißt: es ist dem Künstler Robert F. Hammerstiel nicht mehr so wichtig, den Bildausschnitt, den Zeitpunkt des Abdrückens, die Belichtungsverhältnisse zu bestimmen und zu gestalten. Das lässt sich in der Tat durch andere erledigen. Hammerstiel hat sich als Autor emanzipiert. Er, ein ehemaliges Musterbeispiel für die österreichische Autorenfotografie im engeren Sinn, ordnet an (in diesem und in jenem Sinn), wählt aus, arrangiert.
Seit Ende der achtziger Jahre feilt Hammerstiel an abgründigen Erzählungen vom kleinen, intimen Glück, das genährt werden will, gefüttert wie das Haustier und gegossen wie die Zimmerpflanze. Er inszeniert die Abgründe, die hinter den Glücks-Kulissen des Alltags versteckt sind; ohne dramatische Effekte, unspektakulär und nicht erschütternd, sondern als Ansammlung fotografischer Dokumente des Banalen. Es sind Indiziensammlungen, mit deren Hilfe sich das Schreckliche unseres Alltages, unserer kleinen, wohnlich eingerichteten Welt beweisen lässt. Sie entlarven unsere Wirklichkeit als eine Ersatzwelt, von deren Surrogaten der Künstler abermals Surrogate herstellt.
Hammerstiels Fotografien erfüllen die Erwartungshaltungen, mit denen wir an Fotografie herangehen, immer weniger. In den Bildern ist nicht nur der Mensch abwesend, die Fotografie selbst mit ihrer gesamten Apparatur scheint sich aus ihnen fortgestohlen zu haben. Anhand der Abbildungen in den Publikationen entsteht der Eindruck, die Fotografien würden die abgebildeten Objekte ersetzen wollen. In der Ausstellung, angesichts teilweiser Riesenformate, wird schnell klar, dass dies nicht die Absicht des Künstlers sein kann. Worum es Hammerstiel geht, ist nicht der Ersatz, sondern die Instandsetzung des Objekts als In-seinen-Stand-Setzung. Hammerstiel hält uns nicht – wie so viele andere Fotografen- einen Spiegel vor, in dem wir uns verzerrt wiederfinden, sondern simuliert für uns Situationen und zwingt uns in den Stand der Anwesenheit, des Zu-gegen-seins. Anwesenheit könnte auch als Präsenz beschrieben werden, als Gegenwärtigkeit. Fotografien sind bei Robert F. Hammerstiel nicht mehr Evokationen von Erinnertem, wollen nicht der Erinnerung dienen, sondern die Erinnerung in den Stand versetzen, etwas zu bewirken, was jetzt geschieht; mit Poesie, mit Kritik und mit Ironie.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1998