«Weißdorn»
Der titelgebende Weißdorn des jüngsten Romans von Robert Kraner «neigt sich unterm Fenster» und nimmt Fahrt auf, «er fällt in Trab», heißt es im bildgebenden Zitat eines Gedichts von Jan Skácel. Ein poetisches Bild vermittelt die Erfahrung des «Sterbenmüssens» über Landschaft, die ins Fließen gerät, gleich wie der Boden unter den Füßen des Kranken. Robert Kraner gestaltet in einer sehr genauen Sprache die schicksalhaften Veränderungen, denen die Hauptfiguren ausgesetzt sind: der ältere Bruder seiner Alkoholabhängigkeit und dem Entzug, der ihm allerdings neue Lebenschancen eröffnet, der jüngere einer unheilbaren Krankheit, die er durch Selbstmord abkürzt. Seine Frau, der Sohn, der Bruder – alle kämpfen mit dem nicht Wegschiebbaren, hanteln sich neben- und miteinander durch die Anforderungen.
Robert Kraner publiziert seit 2009 und hat in verschiedenen Berufen, als Lehrer, Leiter eines Obdachlosenhauses, Umweltberater und Experte für Bodenökologie, gearbeitet. Seit 2003 hat er mit den Gründungen der Schreibwerkstatt Waldviertel, den Schreibakademien Waidhofen an der Thaya und Gmünd, der ersten grenzüberschreitenden Schreibwerkstatt in Nové Hrady mit Studierenden aus beiden Ländern sowie von Schreibwerkstätten in Schulen und in der Tagesstätte «Zuversicht Heidenreichstein» in der niederösterreichischen Literaturszene wichtige Impulse gesetzt. Dem nun im Drava Verlag Klagenfurt erschienenen Roman «Weißdorn» sind Veröffentlichungen von Gedichten, Erzählungen und Essays in verschiedenen Anthologien vorausgegangen.
Mit seinen Fachbildungen und Engagements korrespondiert die Anschaulichkeit, die der Autor seiner literarischen Arbeit abverlangt, erkennbar auch an einem Glossar am Ende des Buches, wo das umgangssprachliche oder Dialektwort in Hochdeutsch erklärt wird, z. B. «Mistkübel = Abfalleimer», sodass keine der Sprachebenen unterdrückt oder übergangen wird.
Robert Kraners Sprache bleibt konsequent, mit schwierigen Gemütszuständen sorgfältig umgehend, dem Alltagsbewusstsein nahe, nur in den nachgelassenen Briefen und Tagebüchern des Toten sucht Pathos nach Mitteilbarkeit für das Unfassbare und will im Vollsinn des Wortes «gehört» werden.