Robert Schindel

Literatur
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Der Trauermarsch von Anbeginn

„Der Trauermarsch war von Anbeginn in mir. Ich hatte bloß nicht die Ohren, ihn zu vernehmen, und doch führte er mich zu einer anderen Sprache, welche tief in mir schlief.“

So beschreibt Robert Schindel in dem Essay Eine Sprache finden, wie im Alter von 35 Jahren die Trauer um seine in der Shoah ermordete Familie Besitz von ihm ergriff – und, so könnte man ergänzen, dergestalt eine der unverwechselbarsten Stimmen der österreichischen Literatur hervorgebracht wurde.

Schindel hat eine Sprache geschaffen, die imaginative Neologismen und metaphorische Verdichtung, freie Verse und Sonette, Trauer und Humor in aller Ambivalenz zu vereinen vermag. Eine Sprache, die gerade darin zeitgenössisch ist, dass sie in die Tiefe der Vergangenheit eindringt.

Sein Geburtsjahr 1944 machte den Sohn jüdischer und im kommunistischen Widerstand aktiver Eltern zu einem Überlebenden, kaum war er geboren. Dieses Leben im Paradoxon wurde zur treibenden Kraft seiner Literatur – in seiner bildmächtigen Lyrik, den selbstbefragenden Essays und seinem Prosawerk –, in der er anschreibt gegen den Widerspruch zwischen einem ständigen „notorischen Geplapper über Auschwitz“ und der Tatsache, dass die Toten als „wirklich Ermordete“ immer unsichtbarer werden.

Nicht um die Frage nach dem Wie des Erinnerns ist es ihm zu tun, sondern um historische Erfahrungen und die verfolgten, ermordeten und überlebenden Menschen.

Solch ein Erinnern setzt er zuerst in Lyrikbänden und dann auch in dem Roman Gebürtig (1992) um – der kunstvoll gebaute, schonungslose Roman über die Nachwirkungen der Shoah setzt konfligierende Erinnerungen in Österreich ins Werk:

„Mauthausen ist eine schöne Gegend. […] Als Kind hab ich dauernd im Konzentrationslager gespielt. Ein Superspielplatz. Glaubst du, dass ich mir als Zehnjähriger was dabei gedacht habe?“, so lässt Schindel eine aus Mauthausen stammende nicht-jüdische Figur einer jüdischen Frau erklären.

Da in der bildmächtigen Sprache des Romans auch der Lyriker hörbar wird, kann Schindel der Komplexität realhistorischer Erfahrungsvielfalt Raum geben und so jegliche Klischees, die uns in so vielen Büchern und Filmen über die Shoah entgegenschlagen und dort eine aufrichtige Auseinandersetzung mit „wirklich Ermordeten“ verunmöglichen, auf Distanz halten.

So lässt sich Robert Schindels Literatur auch in eine Tradition der Österreich-Kritik einordnen, die er gemeinsam mit Autor:innen wie Robert Menasse und Doron Rabinovici infolge der „Causa Waldheim“ in den 1980er-Jahren pflegt.

Auch sein Roman Der Kalte (2013) spielt, wie Gebürtig, in den 1980er-Jahren, befasst sich mit der Geschichte der Shoah sowie ihren gesellschaftspolitischen Auswirkungen in den nachfolgenden Jahrzehnten und wurde auch als Schlüsselroman zur „Waldheim-Affäre“ gelesen.

Außerdem ist Schindels essayistisches Werk eine schonungslose Befragung auch der eigenen Haltung, von gesellschaftlichem Zusammenleben und politischem Engagement. Über seine Entfremdung aus dem politisch-agitatorischen Umfeld, in dem der Autor früh tätig gewesen ist, und seine Hinwendung zu einer spezifischen Sprache seiner Literatur schreibt er 1993:

„Ich war sehr lange Mitglied bei den Guten Menschen, habe mir oft genug mein bisschen Sprache versaut, weil ich MIT ihr was Gutes tun wollte, statt IN ihr zu untersuchen, was der Fall ist.“

Sprache als Objekt sowie als Werkzeug für ein Schreiben, das die Gewalt der europäischen Geschichte nicht überdeckt, sondern die Lücken der Vorstellungskraft bezeichnet und sie gleichzeitig vorschlagshalber ausgestaltet, ist ein Kern von Schindels Schreiben.

Robert Schindel gebührt Dank auch für sein Engagement für die Literatur: Er hat das seit 2006 in Heidenreichstein stattfindende Festival Literatur im Nebel mitbegründet, war einige Jahre Juror beim „Bachmannpreis“ und ist Mitbegründer des Instituts für Sprachkunst Wien.

Vor allem aber ist er eine der wichtigsten deutschsprachigen Stimmen im Schreiben über die Shoah, deren Erfindungsreichtum und sprachliche Genauigkeit immer wieder anhebt, Erinnerung und österreichische Geschichte kritisch zu beleuchten.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2022