Gefasste Wildnis
Zwei Positionen machen die architektonischen Projekte, die Rudolf Prohazka in den letzten Jahren entwickelt hat, besonders interessant: der weite Blick – die Auseinandersetzung mit kulturellen und gesellschaftlichen Erscheinungsformen und Zusammenhängen und deren raum- und materialgewordener Ausdruck in seinen Arbeiten und der äußerst sensible Umgang mit dem Natur- und Landschaftsraum.
Rudolf Prohazka hat eine Vielzahl von hervorragenden architektonischen Arbeiten geschaffen und dafür eine Summe von Auszeichnungen erhalten: zweimal den Preis der Zentralvereinigung der Architekten im Jahr 1986 und 1988 für ein Einfamilienhaus in Kaltenleutgeben in Niederösterreich und ein Atelier und Kleinwohnhaus in Ried in Niederösterreich, den Staatspreis in Gold für gewerbliche und industrielle Bauten im Jahr 1992, die Prämierung eines Wohnhauses bei Wiener Neustadt beim internationalen Architekturkritikerkongress 1993 im Architekturzentrum Wien. Dennoch war die Realisierung eines großen Projektes in Niederösterreich bisher noch nicht möglich.
In diesem Sinne hochinteressant sind jene großen Projekte, die Rudolf Prohazka für das Museumsquartier im Wiener Messepalast, die Expo’95 in Wien, für die neue Landeshauptstadt St. Pölten und den Kulturbezirk der niederösterreichischen Landeshauptstadt entworfen hat: Besonders das Projekt für das neue Regierungsviertel ist beinahe zehn Jahre nach seiner Entstehung noch immer von einer Brisanz und Weitsicht, die die hohe architektonische Qualität des Entwurfes an Hand der existierenden Situation erkennen lassen.
Der neue Stadtraum des Regierungsviertels war als Rahmen über den zentrumsnahen Teil der Traisenau geplant, den gewachsenen Flussraum für die Zukunft erhaltend. Die existierende Stadt wächst von außen bis an die äußeren Kanten dieses Rahmens aus Regierungsgebäuden heran. Durchdringungen von Kultur- und Freitzeitebenen geben ein städtebauliches Fluchtlinienkonzept vor, in welchem eine Summe von unterschiedlichen architektonischen Handschriften vorgesehen war. Rudolf Prohaska spricht über dieses Zusammentreffen von unberührtem Naturraum und urbaner Dichte von „gefasster Wildnis“.
Ein visionäres Projekt, gepaart mit hoher stadträumlicher Qualität, voller Überraschungen, mit ökologischem und politischen Weitblick entwickelt, seiner Zeit in mehrfacher Weise voraus, internationaler Aufmerksamkeit noch immer gewiss.
Über die Situation der Architektur in Österreich schreibt Rudolf Prohazka im Mai 1992: „Die (gebaute) Realität ist nicht die architektonische Wahrheit in Österreich. Diese Wahrheit ist hierorts weitgehend unbekannt, weil die Auseinandersetzung mit neuer Architektur, wenn überhaupt nur im Fachkreis und auf rein theoretischer Ebene stattfindet. In der Praxis ist sie weitgehend folgelos.“ Gefordert wird „…Unterstützung des Widerstandes bei sich abzeichnenden Bausünden, denn, die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar‘ (Bachmann)…“.
Intensive Auseinandersetzung mit der Landschaft zeichnet auch das Projekt „In der Wiesen“ in Wien 23 aus. Die langjährige landwirtschaftliche Nutzung des Naturareals bleibt auch in dem neu zu schaffenden Park zwischen den Gebäudeteilen sichtbar, die Trasse der U6, die das Gebiet durchschneidet, wird mit einer pflanzen bewachsenen Parkbrücke überspannt. Neuartige Kombinationen aus statischer Tragstruktur und zellenartigen Gebilden dienen dabei als Pflanzgefäße.
Dieses Konzept wurde für ein Wettbewerbsprojekt in Paris weiterentwickelt. Grünflächen auf urbanen Betonstrukturen (Dächer, Garagen, Brücken) stellen vegetative Verbindungen und Überbrückungen von Hochleistungsverkehrsträgern und dem Grünraum her.
Im Wettbewerb für das Holocaust-Denkmal in Berlin hat Rudolf Prohazka in Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Karl Prantl auf dem projektierten Bauplatz nahe dem Brandenburger Tor – einer unregelmäßigen Trapezfläche, deren Diagonalen 160 Meter und 120 Meter betragen einen Beitrag entwickelt, der vor allem mit „Leere“ operiert: Raum wird geschaffen, indem das zur Verfügung stehende Areal abgesenkt wird. Kein Monument sollte entstehen, zu dem man hinaufgehen muss.
Ein kleiner, von Prantl bearbeiteter Stein, ,,zieht“ das Gelände nach unten, erzeugt durch sein „Gewicht“ einen umgekehrten Pyramidenkegel, dessen Vertiefung die umgebende Dichte des Verkehrs ausblendet.
Aus der Summe von Projekten sei das Konzept „Kremslicht“ exemplarisch hervorgehoben. Die Topographie der Stadt wird durch Lichtkoordinaten nachgezeichnet, die das Stadtgebiet in mehreren Ebenen abstrakt überlagern und in ihrer Gesamtheit eine unverwechselbare Ausstrahlung geben.
Gemeinsam mit Josef Dabernig entstand im Rahmen von ,,Kunst im öffentlichen Raum“ für die Gemeinde Hagenbrunn ein Projekt, das erneut die Sensibilität Rudolf Prohazkas für die Ressource ,,Landschaft“ aufzeigt. Leider kam es hier zu keiner Realisation des Projektes.