Rudolf Weiss

Literatur

Schreiben zum Zeit-Vertreib

ich schreibe zum zeitvertreib / ich möchte die zeit / vertreiben/ diese Zeit I diese bombenzeit / diese zeitbombenzeit / dafür schreibe ich.
Zwar schreibt er, wie er selber sagt, zum Zeit-Vertreib. Doch ist er trotzdem alles andere als ein Freizeit-Schreiber, der neue Literatur-Förderungspreisträger Rudolf Weiss.
Seine Gedichte sind Proteste: gegen das unharmonische Nebeneinander von Tradition und Fortschritt, von Manipulation und Glauben, von Gefühl und Ratio. Der Zeit, dieser Zeitbombenzeit, der so viel Bedrohlichkeit innewohnt, begegnet er teils mit wortspielerischem Scharf-Sinn, teils mit naturverbundener Frömmigkeit – immer aber höchst engagiert:
zuerst I haben wir/ die umwelt /preisgegeben // nun / vergeben wir/ umweltpreise.
Kurz und prägnant sind sie, diese Texte, ohne Verschnörkelungen, aphoristisch zugespitzt. Sie verblüffen durch die simple Logik, in der sich der Wortsinn erschließt. Und sie haben etwas Entlarvendes an sich:
wenn autovertreter / autos verkaufen / und waschmaschinenvertreter / waschmaschinen / und versicherungsvertreter / versicherungen / was verkaufen dann/ die volksvertreter?
Rudolf Weiss ist Jahrgang 1957, geboren in Mödling, aufgewachsen auf dem elterlichen Bauernhof in Kaltenleutgeben. Mit sechsundzwanzig übersiedelte er ins Weinviertel. Er lebt mit Frau und zwei Kindern in Paasdorf und arbeitet als Religionslehrer an der landwirtschaftlichen Fachschule in Mistelbach.
Erst allmählich hat er die Landschaft und die Menschen des Weinviertels für sich entdeckt. Viele seiner Texte sind Stationen dieser Entdeckungsreise. Er liebt das nördliche Niederösterreich, und dass sich diese Liebe in Gedichten niederschlägt, ist fast verständlich:
schulter an schulter / die hügel / dazwischen ein stacheldraht / und eine welt/ land an der Grenze – / querschnittsgelähmt.
Seit 1983 ist Rudolf Weiss literarisch tätig. Begonnen hat er mit selbstverlegten ,,Hefteln“, wie er es rückblickend nennt: hektographierten Broschüren mit Fotos und Texten in Kleinauflagen von 150 Stück. Sieben davon sind erschienen. Sie tragen Titel wie ,,narben und wunder“, ,,not-lösungen“, ,,grenzen und glut“, ,,wüste und traum“. In manchen von ihnen findet sich bereits jener lakonische Tonfall – knapp, verhalten, nüchtern -, der inzwischen zum unverkennbaren ,,Markenzeichen“ des Autors geworden ist.
,,vererdete hände“, 1983 geschrieben, bringt Gedanken, Meditationen, Gebete, die Gott in seinen vielen Erscheinungsformen sozusagen ,,erden“ möchten, ihm Hände leihen möchten, damit er schon hier auf Erden und nicht erst im Jenseits wirksam werden könne. Denn: ,,ich habe nichts von einem gott, der würdig hoch im himmel thront, und ich habe nichts von einem diesseitigen leben, wenn es mir nur als sparkassa für das ewige leben dient … “ In ,,dürre und macht“ schlägt der Autor leitmotivisch bereits seine wichtigsten Themen an: Fortschrittswahn, atomare Aufrüstung, Umweltschädigung: ,,umweltverschmutzung beginnt mit der innenweltverschmutzung des menschen“.
Als erstes ,,richtiges“ Buch erschien im Vorjahr im Rundblick-Verlag der Band ,,Vernetzungen“, von dem – geradezu sensationell für ein Gedichtbuch – mehr als 150 Exemplare abgesetzt worden sind. Und für den Spätherbst wird im Niederösterreichischen Pressehaus der Band ,,Ent-Rüstungen“ vorbereitet. Wieder sind es vor allem Umweltthemen, die darin behandelt werden, ob es der ,,monolog einer mülldeponie“ ist oder ein ,,dekalog gegen den stummen frühling“.
Gemeinsam mit Heinz Stadlbacher gründete Rudolf Weiss die Weinviertier Kulturinitiative ,,Kunst-Dünger“. Sie bietet jungen Literaten und Liedermachern Gelegenheit, mit ihren Werken an die Offentlichkeit zu treten. Ein weiteres Ziel der Kunst-Dünger-Abende, die meist in Weinkellern stattfinden und bei der Dorfjugend regen Zuspruch finden, ist die Verknüpfung von alten und neuen Kunstformen. So sind zum Beispiel Aktionen wie der ,,Kreuzweg der Schöpfung“ gegen die Schändung der Natur im Sommer 1987 in Mistelbach von mittelalterlichen Osterspielen ebenso inspiriert wie von H. C. Artmanns legendärer makaber-surrealistischen Procession Aux amants funebres durch die Wiener Innenstadt.
,,Der Fortschritt der Menschheit wird so lange dauern, bis kein Mensch mehr da ist“ hat der Weinviertier Dichter-Kollege Emmerich Lang einmal konstatiert. Rudolf Weiss sieht das (noch) nicht so pessimistisch. Er verdammt nicht den Fortschritt an sich, sondern will aufmerksam machen und aufmerksam bleiben für Entwicklungen, die einem wirklichen, humanen Fortschritt abträglich sind: ,,weil es nie zu früh ist, zu zweifeln. an der politik, an den meinungsmachern, an sich selbst“. Nachsatz: ,,aber es ist auch nie zu früh, sich etwas zuzutrauen“.
Dass der Poet nicht resigniert, auch wenn er täglich hautnah die Grenzen erlebt, die ihm und anderen im Grenzland gesteckt sind, das beweisen Texte wie die ,,Statuten für das Weinviertel“, in denen ,,am Tag der Blumen und Mauerblümchen“ unter anderem erlassen wird, dass jeder seine Füße wieder verwenden darf, ,,um der Planierraupe ein Bein zu stellen“, dass die Gartenzwerge Auswanderungsanträge stellen werden, und dass es ,,Baumumarmer, Hebammen für den guten Geschmack und ein Zukunftsamt geben soll, in dem die Kinder das Sagen haben“.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1989