Theater für und mit Menschen
Kann Theater Menschen, die bedroht werden und deren Position in der Gesellschaft gefährdet ist, einen Teil ihrer Würde zurückgeben? Es kann! sog.theater beweist dies nun schon seit mehr als 20 Jahren.
Impulsgebend war 1993 ein Akt der Gewalt gegen Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien im Bezirk Wiener Neustadt. Mit der Gründung der Theatergruppe „Vagabunt“, die sich als „Probebühne für Zivilcourage“ verstand, hat Initiatorin Margarete Meixner auf dieses verstörende Ereignis reagiert. Mit einem gemeinsam mit dem Schauspielensemble erarbeiteten Theaterstück trat sie – basierend auf den Methoden des „Forumtheaters“ unter Einbeziehung des Publikums – in Schulen, Pfarren und Gemeinden auf. Daraus erfolgte 1999 die Gründung des Vereins sog.theater, der den Dialog zwischen den Ensemblemitgliedern und dem Publikum als zentrales gestalterisches Element vertiefte.
Die Stücke entstehen durch Recherche und aktuelle Lebenserzählungen, werden vom Ensemble mit theaterpädagogischen Konzepten erstellt und im Dialog mit dem Publikum zur Aufführung gebracht. Neben dem „Forumtheater“ wurden Formate wie das „Playbacktheater“, „Erinnerungs- und Generationentheater“ sowie „Museumstheater“ erprobt.
sog.theater hat immer provokative Fragen gestellt und gemeinsam mit dem Publikum nach Antworten gesucht. Konflikte und Unrecht wurden aufgedeckt, Perspektiven und Lösungen diskutiert. Drei rezente Projekte sollen exemplarisch veranschaulichen, auf welche Weise sich sog.theater mit der Menschenwürde künstlerisch und kulturell auseinandersetzt:
Im Mittelpunkt der Produktion „Herzsplitter“ stehen die Region Bucklige Welt und die Schicksale jüdischer Familien, die ihre Heimat durch Flucht und Verfolgung verloren haben. Als „Museumstheater“ wurde im Hacker-Haus in Bad Erlach eine Collage aus Lesung von Originalquellen, Hörspiel und Theatersequenzen zur Aufführung gebracht. „Herzsplitter“ ist dramatisierte Geschichtsaufarbeitung, die ein Museum als Ort der Begegnung, Erinnerung und Reflexion erlebbar macht.
Im Theaterstück „Fliegenfischen oder Herr Bert und der Fetzenfisch“ entwickelt der Protagonist Herbert Wiesinger, ausgelöst durch den Tod seiner geliebten Frau, eine Demenzerkrankung und stellt damit seine Tochter und seine Familie vor immer größere Herausforderungen. Die Aufführung des Stücks, das auch verfilmt wurde, wurde durch einen Fachvortrag zu Krankheitsverlauf und Gewaltprävention begleitet und ermöglichte vor Ort den Austausch von Pflegenden sowie den Kontakt mit unterstützenden Organisationen. Thematisiert und gestärkt wurde so nicht nur die Würde der Erkrankten, sondern auch die der Angehörigen und der professionellen Pflegerinnen und Pfleger.
„Vorhang auf“ schließlich ist eine Performance, die anlässlich des Gedenkjahres 2019 – 30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs – auf Grundlage von autobiografischen Berichten in sogenannten „Erzählcafés“ entstanden ist. Angelehnt an „Die Schutzflehenden“ von Aischylos wird das Stück von Auftritten eines Chors untermalt und weist auf die ständige Präsenz von Flucht und Vertreibung in Vergangenheit und Gegenwart hin. Im Anschluss konnte das Publikum in einer Playbacktheater-Sequenz das Gesehene und Gehörte reflektieren und seine eigenen Erinnerungen, die vom Theaterensemble in Szene gesetzt und auf die Bühne gebracht wurden, erleben.
Der Verein sog.theater hat in den 20 Jahren seines Bestehens in einer Vielzahl von Theaterstücken und Projekten den Menschen in seinen humanen und inhumanen Ausprägungen in den Mittelpunkt gestellt. Kein erhobener Zeigefinger, sondern dramatische Situationen aus unterschiedlichen Blickwinkeln prägen die Arbeit, machen nachdenklich, berühren und ermutigen das Publikum.
Letztendlich steht immer die Würde des Menschen im Mittelpunkt, ihre Bewahrung und Wertschätzung ist das zentrale Anliegen aller Produktionen – gleichgültig, ob es sich um das Erinnern an vergangenes Unrecht oder um den aktuellen Umgang mit gesellschaftlich Ausgegrenzten handelt. „Theater für eine bessere Welt? Tausendmal ja!“, so lautet das Bekenntnis von sog.theater zu Aufklärung und Humanität. Und sowohl die Aufklärung als Entwicklungsprojekt als auch die Humanität als Haltung sind unverzichtbar für die Bewahrung der Menschenwürde.