Stephanus Domanig

Medienkunst
Künstlerischer Spielfilm

„Jago“-Variationen auf Othello

Was fasziniert einen jungen Filmemacher am Beginn seiner Karriere an einem derart klassischen Sujet wie dem des Othello? Die immer noch aufregende wie aktuelle Konstellation Liebe-Intrige-Eifersucht? Das Thema Macht und Machtmissbrauch? Wohl beides und noch ein bisschen mehr. Denn Stephanus Domanig liebt das Spiel mit den Formen, er lässt theatralische, filmische und opernhafte ,,Othello“-Elemente gleichsam spielerisch ineinander verschmelzen. Wirkungsvoll setzt er Montagen aus Opernpassagen Verdis und Originaltexte aus Shakespeares Drama als Voice Over ein und stellt theatralisch gehaltene, beinahe statische Szenen in Beziehung zu einem überhöhten temporeichenfilmischen Realismus. Stephanus Domanig, 1967 in Südtirol geboren und aufgewachsen, lebt seit 1986 in Klosterneuburg. Er beendet mit „Jago“ sein Regiestudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst bei Peter Patzak und legt mit seinem ca. 50 Minuten dauernden Kurzspielfilm, dessen Drehbuch er selbst geschrieben hat, ein imposantes Zeugnis für die Möglichkeiten des Filmes abseits der klassischen Verwendung von Celluloid ab. Während sein 1998 realisiertes Kurzfilmprojekt „Bar-Bar“, das bereits zu mehreren Festivals ( etwa nach New York, Lissabon und München) eingeladen worden ist, physische Gewalt und deren Entstehen im psychischen Bereich aufeinprägsame Weise erlebbar macht, beschäftigt sich Stephanus Domanig in ,Jago“ mit der Variation eines literarischen Themas. Er holt Shakespeares und Verdis Othello in die Gegenwart und wirft die Frage auf: Wie geht ein moderner Mensch mit einem Szenario wie dem, das sich dem literarischen Othello bietet, um? Ein erfolgreicher Dirigent (Othello), der in den Vorbereitungsarbeiten zur Inszenierung von Verdis Oper ,,Otello“ steht, findet plötzlich in seinem Privatleben Handlungselemente der Oper wieder: Sein Agent (Jago) intrigiert gegen seine Freundin (Desdemona), die die Partie der Desdemona singen soll und ihren Jugendfreund (Cassio) als Cassio besetzt haben will, während Jago seinem Günstling (Rodrigo) die Rolle zugedacht hat. Intrigen, Lügen und geweckte Eifersucht treiben den Dirigenten in die klassische Othello-Situation, jedoch die Zeiten haben sich geändert, und am Ende kommt es anders, als Shakespeare es vorgesehen hat. Dass die handelnden Personen auch auf der „realen“ Ebene die Namen aus Shakespeares Stücken tragen, schafft Distanz zu den Figuren, ist aber ein wirksames Mittel, die ,,reale“ Filmebene mit der Theaterebene verschmelzen zu lassen. So ist es ein außergewöhnlicher Kunstgriff, wenn die Pistole, mit der Desdemona in Notwehr Othello angeschossen hat, sich im Fall in einen Dolch verwandelt und die Filmebene plötzlich zur Theaterebene wird. Denn im Finale holt das Theaterstück „Othello“ die filmischen Protagonisten formal ein, und der Film, der mit einer theatralisch gehaltenen Anfangsszene begonnen hat, kehrt an diesem Punkt auf die Theaterbühne zurück. Eine interessante Personengestaltung transportiert den Stoffin die Gegenwart. So ist der Jago von heute ein Managertyp, bei dem Erfolg und Macht im Vordergrund stehen. Lüge und Intrige sind seine Mittel zur Machterhaltung. Er ist ein Workaholic ohne Fähigkeit, soziale Bindungen einzugehen, und seine Gefährlichkeit zeigt sich in seiner Glaubwürdigkeit, mit der er wie ein Chamäleon in den unterschiedlichen Situationen agiert; er ist ein Mann mit Ausstrahlung, der seine Wirkung auf die Mitmenschen ausnützt. Allerdings hat sich seine Umwelt verändert: Um Othello zu einem Mord zu treiben, muss er ihn unter Drogen setzen. Desdemona ist eine selbstbewusste, moderne Frau, die sich zu wehren weiß. Die gelungene Personencharakterisierung trägt dazu bei, dass trotz des Spieles mit den Formen eine transparente Handlungsführung und ein spannender Aufbau der Geschichte gegeben ist. Jago“ ist ein beachtlicher Film, der trotz des knappen Budgets, das für einen Diplomfilm zur Verfügung steht, Professionalität und Talent des jungen Filmemachers zeigt, der mit diesem Projekt überdies versucht Interesse und Neugierde auf Shakespeares „Othello“ und Verdis Vertonungund damit stellvertretend auf die großen, wohl immer gültigen Themen des Theaters und der Oper – Zu wecken.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2000