Thomas Baumann

Bildende Kunst
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Zwischen Determiniertheit und Kontingenz

Gegenstand, Skulptur oder apparatives System? Thomas Baumanns Arbeiten changieren zwischen kinetischer Skulptur und konkretem Objekt. Sie bedienen sich einfacher Formen und Bauweisen und doch erscheinen die «Funktionsweisen» dieser elektromechanischen Prototypen, ihre repetitiven Abläufe und Vorgänge, geheimnisvoll und unbestimmbar. Denn Baumanns «Skulpturen» erscheinen als dynamisierte Objekte, die ein Eigenleben entfalten, indem sie ihr Potential ästhetischer Performanz durchspielen. Seine kybernetischen Apparaturen führen die Autopoiesis des eigenen Systems vor und eröffnen dabei ästhetische Möglichkeitsräume im Wechselspiel von Determiniertheit und Kontingenz der Abläufe. Thomas Baumann scheint dabei weniger daran interessiert, etwas Bestimmtes zu zeigen oder herzustellen, sondern zielt vielmehr darauf, Differenzen im Gleichen, Abweichungen in der Wiederholung zu evozieren und beobachtbar zu machen. Nicht die Form, sondern ihre Variabilität, nicht das Sein des Objekts, sondern sein Werden steht im Mittelpunkt.
So sieht sich der Betrachter beispielsweise in «Asilver» einem Bildgeviert gegenüber, das unablässig seine Form verändert. Die Bildfläche, ein Stück Silberfolie, an den Enden vier elektronisch gesteuerter Antennen aufgespannt, wird durch das programmierte Ein- und Ausfahren der Antennen gefaltet, verknittert und damit als Bildträger zerstört, um sich daraufhin erneut zum potentiellen Bildträger aufzufalten. Ist diese Arbeit nun Bild – ihre spiegelnde Flächenwirkung ließe eine Vielzahl ikonischer Lesarten und Referenzen zu – oder ist sie eine wandelbare Skulptur, die die Möglichkeiten der Verformung, die skulpturale Vielgestaltigkeit des Trägermaterials exponiert? Der Betrachter wird gezielt mit der Variabilität der Erscheinung konfrontiert, sodass Kontextualisierung und Kategorisierung verunmöglicht werden. Indem sich «Asilver» einer eindeutigen Lesart entzieht, verweist die Arbeit auf eine Vielzahl möglicher Semantisierungen und eröffnet auf diese Weise den unabschließbaren Raum der Polysemie.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2011