Thomas Schuler

Musik

Die Harmonie bewusst machen

Er hat von beiden etwas: von der Mutter das grundsätzliche Interesse an der Musik und vom Vater die technische Begabung, womit auch schon sein bisheriger Lebensweg vorgezeichnet war. Geboren 1961 in Wien, hat Thomas Herwig Schuler schon mit sechs den ersten Klavierunterricht erhalten. Knapp später trat er in die damals von Franz Burkhart geleitete Kindersingschule der Stadt Wien ein und begann mit dem Blockflötenspiel. Der Besuch des Wiener BG 2 brachte ihn nicht nur in Kontakt mit dem Musikpädagogen Professor Licini, sondern auch mit dessen Knabenchor „Pueri cantores“, mit dem Schuler die wesentliche sakrale und profane Vokalliteratur kennenlernte. Weil damals sein technisches Faible doch stärker war, wechselte er nach Absolvierung der Mittelschulunterstufe an die HTL W 1-Schellinggasse, wo er durch den Besuch der Abteilung Nachrichtentechnik die väterliche Tradition fortsetzte. In diese Zeit fallen Schulers erste Kompositionsversuche, und selbstverständlich ist er auch dem Klavierspiel treu geblieben. Nach der Matura inskribierte der mittlerweile auch in Klosterneuburg lebende Schuler Elektrotechnik an der Wiener Technischen Universität, um bereits nach zwei Jahren die Unrichtigkeit dieser Wahl zu erkennen. Seitdem führt Schuler ein, wenn man so will, Doppelleben: Seinen Unterhalt verdient sich der Meister für Radio- und Fernsehtechnik als Entwicklungsingenieur in einem Wiener Konstruktionsbüro und zudem nimmt er Kompositionsunterricht an der Wiener Musikhochschule. Wozu es übrigens durch eine Art Zufall gekommen ist. Durch einen Bekannten lernte er den gleichfalls als Komponisten arrivierten Wiener Domorganisten Peter Planyavsky kennen, der von Schulers Kompositionsversuchen so angetan war, daß er ihm riet, seinen früheren Lehrer Alfred Uhl aufzusuchen. Auch er erkannte unverzüglich Schulers Talent und empfahl ihn, da er längst nicht mehr unterrichtet, seinem Schüler Augustin Kubicek weiter, bei dem sich Schuler dann im Tonsatz unterweisen ließ. Weil ihm aber an einer möglichst vielfältigen Ausbildung lag, suchte er Professor Robert Schollum auf, dem er, wie Schuler im Gespräch immer wieder betont, wesentliche Einsichten nicht nur zum Wort-Ton-Verhältnis, sondern auch zur Problematik Material-Form-Ausdruck verdankt. Zur Zeit absolviert Schuler bei Erich Urbanner den zweiten Studienabschnitt, hat erste Kontakte mit dem ORF geknüpft, ist Proponent eines erstmals Ende November im Wiener Bechsteinsaal als Veranstalter aufscheinenden „Vereins zur Präsentation neuer österreichischer Musik“ und nennt als seine erklärten Vorbilder Bach und Ligeti. Was Mehrfaches bedeutet. Einmal, daß auch er mit der derzeitigen Vermarktung zeitgenössischer Musik hierzulande ganz und gar unzufrieden ist und folgerichtig zur Selbsthilfe greift, dann, daß er Musik schätzt, die zum einen durchstrukturiert ist und sich zum anderen klangflächig präsentiert. Wobei Schuler darüber hinaus keinen Zweifel daran läßt, wie sehr es ihm mit seinem Werk darum geht, die Harmonie bewußt zu machen. Gelernter Techniker, macht er nicht nur darauf aufmerksam, daß jede Schwingung hörbar gemacht werden kann, sondern macht auch kein Hehl aus seinem Faible für die spezifische Weiterentwicklung von Obertonmusik. Befragt, wie er all diese selbstgewählten Ansprüche eint, wartet er sogleich mit aussagekräftigen Beispielen auf. So setzt er etwa bei Atem- oder Herzrhythmen an, unterzieht diese im laufe der kompositorischen Arbeit unterschiedlichen Prozessen und erreicht eben damit, daß jedermann sich zwangsläufig angesprochen fühlt, als er derart eingeladen ist, sich seine Gedanken zur grundsätzlichen menschlichen Gesetzmäßigkeit zu machen. Das daraus erwachsende intensivere persönliche Kennenlernen stellt zudem den Ansatz für ein harmonischeres Agieren dar. Dementsprechend gebärdet sich Schulers bisheriges Opus- darunter Werke für Singstimme und großes Orchester, begleitete und unbegleitete Chormusik, eine Messe, ein Orgelstück, aber auch originell besetzte Kammermusiken – keineswegs lautstark, sondern kokettiert bewußt mit eher verhangener Klanglichkeit, was dramatische Kulminationen freilich ebensowenig ausschließt. Und auf diesem Weg will Schuler, der sich nach dem Ende seiner Studien womöglich ganz der Musik widmen wird, auch weiterarbeiten. Ist ihm doch zum einen dank seiner technischen Fähigkeiten und zum anderen auf Grund seiner bisherigen kompositorischen Arbeit klar geworden, wie sehr eine vom Menschen ausgehende Musik andere Bewußtseinszustände vermitteln kann. Gerade heute, wo kaum mehr Zeit für wirkliche Muße bleibt und so gut wie alles nach ausschließlich wirtschaftlichen Momenten beurteilt wird, scheint es mehr denn je nötig, Hilfen zum Finden der eigenen Harmonie anzubieten- Thomas Herwig Schulers Musik weist einen solchen Weg.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1988