Thomas Wollinger

Literatur
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Die Archäologin

Thomas Wollinger, 1968 in Wien geboren, Doktor der Informatik, ließ seine schriftstellerischen Ambitionen erst bei seinem «Outing» als Mitglied des «Grazer Autorinnen und Autoren Kollektivs» im Jahr 2000 erkennen.
Die Lektüre von Umberto Ecos Thriller «Das Foucaultsche Pendel» war Anstoß zum eigenen Schreiben. Dem folgte die Teilnahme an einem Kurs Julian Schuttings, der ihm «das Schreiben beigebracht» hat. Trotz eigener Lehrtätigkeit in Schreibwerkstätten besuchte er weiterhin selbst solche, so die Leondinger Akademie, mit Gert Jonke und Robert Schindel als Lehrer.
Ein zentrales Thema der Romantechnik, wie Figuren «Fleisch» bekommen, löst Thomas Wollinger auf originelle Weise: Er investiert in systemische Strukturaufstellungen: «Alleine das Erlebnis, die eigenen Kopfgeburten als lebendige Gestalten zu sehen, liefert fruchtbare Impulse …»
Archäologie ist doppeldeutig: Das im Erdboden, zugleich im Lauf der Zeit Verborgene, wird aufgedeckt, konserviert und häufig ausgestellt; doch der ursprüngliche Zusammenhang wird zerstört. Ein Autor kann diesen, damit auch das bereits ausgelebte Leben, phantasievoll, zugleich realistisch rekonstruieren. Wie Thomas Wollinger in seinem Debütroman «Die Archäologin» (2004). Seine 35jährige Heldin kehrt in ihr Heimatdorf zurück und wirbelt dort, durch die Ausgrabung von Skeletten einer Familie aus der Urnenfelderkultur, im wörtlichen Sinn Staub auf. Denn dort liegen auch Leichen der jüngeren Ver gangenheit: SS-Kriegsverbrecher, russische Soldaten, tschechische Flüchtlinge, mit einem Wort: die gesamte unerledigte Geschichte des Dorfs seit dem 2. Weltkrieg. Der Roman führt von den 1980er-Jahren in die 1940er- und 1950er-Jahre, kurz auch ins 1. Jahrtausend v. Chr. Dabei stößt die Archäologin auch auf Spuren ihrer Kindheit und entdeckt ihre versteckten Wünsche nach Familie und Kind. Sie ist eine «Wiedergängerin», weil sie in der Konstellation ihres eigenen Lebens dieselben Muster zu erkennen glaubt, die sie in der Grabung vorgefunden hat. Als Vorlage diente ein realer Fund im weinviertler Stillfried, einem «Dorf am Stacheldraht».
Thomas Wollinger erntete für seinen Roman sehr positive Kritiken.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2006