Eine versunkene Welt
1938 musste Kurt Winkler Hochwolkersdorf verlassen: „Innerhalb einer Woche waren wir weg. Vertrieben von den Ortsbewohnerinnen und Ortsbewohnern, mit denen wir seit Generationen friedlich zusammengelebt hatten. Und gar nichts erinnert noch an uns. Als ob es uns nie gegeben hätte!“
Um diesem Vergessen entgegenzuwirken, rief der Verein LAG Bucklige Welt – Wechselland im Jahr 2016 ein zweijähriges Forschungsprojekt ins Leben. Die drei Historiker Johann Hagenhofer, Gert Dressel und Werner Sulzgruber initiierten und koordinierten das Projekt Die jüdische Bevölkerung der Region Bucklige Welt – Wechselland, das die Geschichte und das Leben der jüdischen Bevölkerung in 26 Gemeinden der Region – von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Verfolgung 1938 – wissenschaftlich erschloss.
Ein Team von 18 Forscherinnen und Forschern recherchierte in lokalen und regionalen Archiven und führte Interviews mit noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Die Ergebnisse ermöglichen einen völlig neuen Einblick in das Leben der jüdischen Bevölkerung in der Buckligen Welt. Es zeigt sich kein homogenes Bild, wie man es vielleicht erwarten würde, sondern eine faszinierende Vielfalt, die sich über viele Jahrzehnte entfaltet hat.
1938 war alles vorbei. Etwa ein Fünftel der rund 250 Jüdinnen und Juden, die zum Zeitpunkt des „Anschlusses“ in der Region lebten, konnte nach Palästina, in die USA oder nach Südamerika flüchten und überlebte die Shoah. Ein weiteres Fünftel wurde in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet. Von mehr als der Hälfte der Menschen kennt man den weiteren Lebensweg nicht.
Mit der engagierten Arbeit des Vereins haben – so Hagenhofer, Dressel und Sulzgruber – „Menschen und Bevölkerungsgruppen innerhalb der Regionsgeschichtsschreibung ein Gesicht bzw. einen Platz bekommen, der ihnen vorher weitgehend verwehrt worden war.“
Die Schicksale dieser Menschen sind im Buch Eine versunkene Welt dokumentiert. Die zahlreichen Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, eine beachtliche Sammlung historischer Fotografien sowie tausende digitalisierte Dokumente wurden dem neuen Museum für Zeitgeschichte im Hackerhaus in Bad Erlach zur Verfügung gestellt.