Waltraud Haas

Literatur

Ungebremste Abstürze

Wa mich von Anfang an, der nun gut fünfzehn Jahre zurückliegt, an Waltraud Haas‘ Texten beeindruckt, ist die Ungeschütztheit, die Umumwundenheit, mit der sie Tatsachen auf den Tisch zu legen vermag. Alles ist weggeräumt, was relativieren könnte, verharmlosen, die Wucht der Erfahrung abfedern, sagenkönnte: Es istschlimm,aber so schlimm auch wieder nicht, es gibt Möglichkeiten. Es gibt keine. Es wird nichts abgefedert. In ihrer Prosa schon gar nicht. Da wird Klartext gesprochen. Vielleicht könnte man sagen, aber auch nur im Vergleich zu ihrer Prosa, in ihren Gedichten wird abgefedert, wohl notgedrungen, durch die höhere auch im Vergleich – unkonkretere beziehungsweise anders konkrete literarische Ebene, durch die Kürze der Texte, durch die hohe sprachliche Dichte und Bildhaftigkeit. Haas‘ Gedichte sind in gewissem Sinne der lyrische Ausdruck dessen, was in der Prosa prosaisch, allerdings nicht ohne auffällige lyrische Qualitäten, ungut dasteht, benannt wird, berichtet wird, beschrieben wird an konkreten Details, Geschichten, Vorfällen, Enttäuschungenund Abstürzen – Abstürze, die in den dafür vorgesehenen Institutionen ungebremst stattfinden, in der Familie, in der Psychiatrie, im Wirtshaus, in den Beziehungen, auf der Polizei. In den Texten kann man den Menschenglasklar bei ihren Abstürzen zuschauen. Und es ist peinigend, wie genau und rücksichtslos Waltraud Haas die Absturzstellen markiert unduns hinunterschauen läßt, wie sie die Reden der Opfer im freien Fall zitiert. AuchbeimWiederlesen erschrecke ich immer wieder, was natürlich kein Erschrecken im üblichen Sinne ist, sondern eine Art plötzliches, hellwaches Stutzen, eine plötzliche, unvermutete Beschleunigung, Überraschtheit, Verunsicherung der Wahrnehmung. Da ist plötzlich ein Absturzgefälle zwischen den Sätzen, wo es einen unvorbereitet mit hinein- und hinunterreißt, und obgleich ich die Stellen schon kenne: sie sind noch nicht aufgebraucht, die Wirkung hält an. Zum Beispiel dieses Absturzgefälle in die Einsamkeit in dem Text morgenröte: „als ich noch sehr klein war, ist sie krank geworden, schwer krank, aus purer gemeinheit. ich wußte, sie war lieber im krankenhau als bei mir. ich hattefurchtbare träume, doch es kam niemand, sie mir zu erklären“. Es ist ganz egal, wer da krank geworden ist, die Einsamkeit, die Ausgesetztheit ist vollkommen für sich und allumfassend. Oder das Absturzgefälle in die Zukunft im Textweißewut, wo der Vater, am Tisch sitzend, Zeitung lesend, eine Fliege erlegt: „mit voller wucht läßt er die gefaltete zeitung niedersausen. er dreht sie um und liest: ,menschen, nehmt euer leben, eure zukunft in die hand!‘ auf ,leben’kleben dieflügel, auf,zukunft‘ die noch zuckenden beine“ Und was mich beeindruckt an den Texten, ist die Haltung: Alles ist von Geburt an ein einziger Absturz, aber – wie es in dem Text filmriß heißt: ,, wenn katzen vom himmel fallen, so kommen sie auf die beine auf‘. Alles ist gräßlich, aber es gibt keine Klage, auch keine Anklage, kein Bedauern, und, wie der Klagenfurter Germanist Hubert Lengauer in seiner Besprechung zu Waltraud Haas‘ Buch weisse wut schreibt: ,,nichts ist zu erklären, nichts ist zu verstehen, nichts ist zu verzeihen: es ist wie es ist“. Was beeindruckend ist, ist eben diese Unbeeindrucktheit, diese Kälte, das Weiße dieser Wut, die immer spürbar ist, die instand setzt, eine Sprache zu finden, die vollkommen kalkuliert das vollkommen Unkalkulierbare trifft. Mit den Abstürzen stürzt sozusagen seelenruhig das Auge des Textes mit hinab, um dabei seelenruhig zu beobachten und auszuwählen, was wie benannt werden muß an diesem Absturz, um den Absturz nicht nur spürbar zu machen, sondern ihn auch als Text spürbar zu halten, jetzt und in alle Ewigkeit. Das bedarf einer großen Hitze und einer großen Kälte. Und immer hat mir an Waltraud Haas die extreme, besessene Sorgfalt imponiert, mit der sie ihre Texte, wie auch ihre Bücher, Schritt für Schritt, unbeeindruckt von äußeren Gegebenheiten und Anforderungen, erarbeitet. Darin hat sie ihre Wut untergebracht. Darin und daraus schöpft sie wohl auch die beachtliche sprachliche Kraft. Ihre Arbeitsweise ist ihr Werk, eine andere Arbeitsweise würde ihrWerkvielleicht nicht mehr sein. Was sie fürchtet, und was ich sicherheitshalber mitfürchte. Denn das Werk von Waltraud Haas halte ich nun einmal für ein außerordentliches Werk.Nachzulesen ist dieses Werk in zwei Büchern-LOTs tochter, Vido-Verlag, Wien 1991, und weiße wut, Edition Wespennest, Wien 1995 – sowie regelmäßig in der vier Mal jährlich erscheinenden Wiener Literaturzeitschrift kolik. Zur Zeit arbeitet sie an einem Gedichtband mit dem Titel RUN& RUN, der im Frühjahr 2002 im Verlag Deuticke, Wien, erscheinen soll. Was die äußeren Daten der Biografie von Waltraud Haas betrifft, so könnte man sagen: Waltraud Haas ist 1951 in Hainburg an der Donau geboren, lebt seit 1970 in Wien, studierte Grafik an der Hochschule für angewandte Kunst, Germanistik und Philosphie und lebt seit 1984 als freie Schriftstellerin.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2000