„Drei Kübel Bier“ Exkurs zu einer Biografie Hahnrei Wolf Käfers
Als ich ihn zum ersten Mal sah, erschrak ich: wie konnte ein Dreißigjähriger so viele Falten im Gesicht haben? Noch mehr erschrak ich, als ich dahinterkam, dass sie vom Denken stammten. Instinktiv nahm ich mir vor, für mein ganzes weiteres Leben auf diese entstellende Tätigkeit zu verzichten. Wolf Käfer (den schockierenden Vornamen legte er sich erst später zu) entkam ich dennoch nicht. Wie alle Bußprediger von asketischem Körperbau und irrationaler Energie, hatte er ein feines Gespür für die kleinen, trägen Schweinchen aus der Herde Epikurs. Er nahm mich und andere Stallgenossen derart in die Mangel, dass uns das Grunzen verging und wir nur noch furchtsam aus dem Morast blickten (ohne ihn jedoch zu verlassen). Schrecklich, dieser feuerrote, lodernde Bart, das hackstockartige Kin, die messerscharfen Falten! Wir fühlten uns schon vor dem Schlachten zerpellt.
Den anderen Wolf Käfer lernte ich später kennen. Er hatte mir eine Karte oder einen Briefgeschrieben. Die kleine, frauliche Schrift palte so gar nicht zu seinem männlich-kräftigen Auftreten. Und plötzlich erinnerte ich mich, dass in seinen Blicken nicht nur Donner und Blitz, sondern auch etwas Bittendes und Ängstliches gesteckt hatte. Wie ein Kind hatte er uns angesehen, wenn er uns von der Richtigkeit seiner Meinungen und der Dringlichkeit seiner Forderungen überzeugen wollte. Wolf Käfer ein Zerrissener?
Er kam zu Besuch. Seine Hündin Asta war der schönste, vornehmste und humanste“ Hund, den ich je erlebt habe. Ich hatte den Eindruck, dass zwischen beiden eine seltene Seinsverbundenheit bestehe; und wenn an dem alten Sprichwort etwas dran war, dann sprach diese Hündin sehr für ihren Herrn.
Irgendwann warf der gestrenge Prophet das Handtuch: offenbar waren für seine Bannstrahlen meine Schwarten zu dick. Er wurde oder machte auf leutselig, umgänglich, locker. Jetzt zeigte sich, dass der kinderlose Käfer recht gut mit meinen Käferln umgehen konnte. Als er sah, dass meine kleine Tochter gern Bier trank, fragte er mich so beiläufig, ob ich leere Hundefutterkübel brauchen könne. Ich dachte ans Aufwaschen und Hühnerfüttern und sagte ja.
Beim nächsten Mal hob er wirklich drei rote Kübel aus dem Kofferraum. Sie waren voll Bier. Wochenlang tranken wir uns durch alle Bierländer dieser Erde. Meine Kinder fragten bestürzend oft, wann der Herr Käfer“ wiederkomme. So werden Süchtige erzogen.
Eines Tages stellte er uns seine neue Freundin vor. Wir liebten sie vom ersten Augenblick an: sie war schlank, kultiviert, feinfühlig, edel wie seine Hündin. Hundefreunde werden mir bestätigen, dass an diesem Vergleich nichts Ehrenrühriges ist. Sie wissen auch, dass ein Hund ein sehr gutes Herz haben kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass Asta dabei war, als Wolf Astrid heiratete. Vielleicht hat sie sogar leise .ja!“ gebellt.
Genug Geplauder. Ein Amt hat seine Entscheidungen zu begründen. Eine Laudatio auf einen Kulturpreisträger des Landes Niederösterreich muss immer auch eine Art Leistungsnachweis sein. Um es gleich zu sagen: Wolf Käfer macht es einem schwer, ihn zu erbringen. Er ist kein gebürtiger Niederösterreicher. Er lebt und arbeitet in Wien. Dass er die drei Lyrikbände .einer“, .unterwegs“ und „zum andern“ im Gaming .einer Endredaktion unterworfen“ hat (Einreichungstext), hält nicht einmal er selbst für ein NÖndiz.
….im Übrigen kann weder das Hörspiel „babylonische brücken“ noch der Roman. Die Flucht zum Ausgangspunkt“ in Niederösterreich ansässig genannt werden, auch meine …Sammlung von Dialektgedichten…wäre trotz der von dort stammenden Mundart extremen falls…als in Niederösterreich aufsässig zu bezeichnen…“
Also eine Fehlentscheidung? Freunderlwirtschaft? Keineswegs. Man muss nur Küfer gut genug kennen, um zu wissen, dass das Verschweigen von Leistungen ein Teil seiner Persönlichkeit ist. Wie viele hochkarätige Intellektuelle misstraut er dem Intellekt, bezieht seinen Kulturbegriff und beginnt seine Kulturarbeit an völlig unerwarteten Stellen. Zum Beispiel in der Romantica-Bar in Stockerau. Dort spricht er mit Jugendlichen. Einer erzählt von sich, „als habe ihm noch nie jemand zugehört“, und plötzlich steht auch der Leser unter der Lichtorgel, wird Augen-und Ohrenzeuge eines verdrängten Bereichs: der Welt der Jugendlichen, die uns angeblich so am Herzen liegen (Freiheit, Freizeit, Minisex. Die Szene zwischen Rebellion und Ökonomie. morgen 27/82).
Käfer beschäftigt sich gern mit der niederösterreichischen Musikszene. Auch hier sind es die Unkonventionellen, die Outlaws des Kommerzes, denen sein Interesse gilt. Wieder ist man sofort mitten im Geschehen (der Theaterwissenschaftler Dr. Wolldietrich Käfer versteht sein Geschäft!), wieder überzeugen die sorgfältige Aufarbeitung statistischer Daten, die gründliche Recherche und der engagierte Vortrag. Käfer lässt uns aber auch an seinem Empfindungsgang teilhaben: wir vollziehen den Weg von vorurteilsfreier Annäherung und wachem Interesse zu allmählicher Abgrenzung und kritischer Distanz mit Musik, nur so nach Gefühl und .Gibt es christliche Liedermacher?). Die große Elastizitüt seiner Sprache, die von .Deftig, derb und realistisch“ (über Sigi Maron) bis zur komödiantischen Verspieltheit des Dschungelorehesters Ma. Lanzendorf reicht („Musik, Chaos, fröhlicher Aufbruch), lässt jede Darstellung wahrheitsgetreu erscheinen.
Die Lyrik Käfers und ihre Verflechtung mit seiner Persönlichkeit hat Peter Marginter in einem wunderbar weisen und weiten Essay ausführlich behandelt (I den Folterkammern des Geistes“, morgen 25/82). Ich möchte noch etwas zu Küfers Persönlichkeitsbild beitragen, indem ich aus der erwähnten Reportage über Sigi Maron zitiere. Denn es ist unverkennbar, wie sehr sich Käfer mit seinem Krüppelbruder identifiziert:
Seine Texte steuern sicher nicht jenen stark frequentierten Berührungspunkt an, wo moderne Lyrik und Gesetzestexte sich in der durch.Bezugsreichtum’entstandenen Unverstündlichkeit treffen…Er ist keiner der Bimsstein-Poeten, die alles lyrisch glätten, was sie angehen; wo er mit seinem Maul drübergefahren ist, sieht man alles rauher, schroffer. Es liegt aber weniger an Sigi Maron als an dem Zustand der Wirklichkeit…daß seine Texte, die nicht viel mehr sind als drastische, einprägsame Schilderung zumeist verschwiegener, übergangener Tatsachen, dürrer, klarer, deutlicher Protest sind…Freilich ist einer, der so wenig taktiert wie er, der fordert, statt demütig zu bitten, einer, der anf Beleidigung statt mit melancholischer Klage mit dem Götzzitat antwortet, nicht unumstritten…“
Das ist auch Käfer nicht. Wichtig ist ihm, dass seine Aussage mit der Wirklichkeit übereinstimmt, wie er sie sieht, nicht, ob sie melodisch klingt oder ankommt“. Jede Zeile ist darauf angelegt, den eigenen Standpunkt zu überdenken.
Käfers Sicht der Dinge kann nicht die einzig richtige sein. Das hat schon Marginter festgestellt. Sie hat aber einen sehr hohen Stellenwert in einer Gesellschaft, die das Bachman-Wort.Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ noch nicht verwirklicht hat. Ich jedenfalls wünsche mir, dass er bei seiner Aussage bleibt, solange er an sie glaubt. Bei einer Aussage wie dieser:
kein ziel
hab ich anzubieten
das man erreichen könnte
als das:
daß ihr selbst euer ziel
seid und
nicht werdet