Christian Jabornegg und András Pálffy

Sonderpreis
Hochwertiges Bauen in sensibler Umgebung
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Gestalterische Gegensätze

Feinfühlige Bedachtnahme auf den vorhandenen Baubestand und Klarheit der Adaptierung des historischen Raumes auf die Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts machen die Arbeiten und Projekte der diesjährigen Preisträger besonders bedeutsam. Der diesjährige Sonderpreis würdigt die wohlüberlegte Verbindung von Alt mit Neu, von historischem Orts- und Stadtkern, von besonderem Landschaftsraum mit Bauwerken hoher zeitgenössischer Qualität. Zugleich soll der Architektur als Medium der Suche nach Nachhaltigkeit in diesem Kulturerbejahr 2018 besonderer Raum gegeben werden.

Die Neugestaltungen des Stiftes Altenburg und des Parlamentsgebäudes von Theophil von Hansen sind zwei wichtige Werke des Architekturbüros Jabornegg & Pálffy. Das Stift gewinnt als historischer Bestand durch zeitgenössische Interventionen ein Mehr an Klarheit und Präsenz, das Parlament wird in seiner qualitätsvollen Substanz sorgfältig den Bedürfnissen des Heute nähergebracht.

Alte Bauwerke sind nicht selten Zonen der Unsichtbarkeit. Oft sehen wir ihre Qualitäten nicht, da uns der Blick in die Tiefe ihrer Geschichte fehlt. Jede Revitalisierung, jeder architektonische Eingriff bei Jabornegg & Pálffy bedeutet deshalb eine Summe sorgfältiger, wohlmeinender, selbstbewusster und ja, auch mühevoller kleiner Schritte der Analyse. Einer daraus folgenden mutigen und zugleich rücksichtsvollen Formgebung, damit ein neues Ganzes neu zu uns sprechen kann. Ein neues Ganzes, das bisher unentdeckte Zusammenhänge zwischen Form und Zeit, zwischen Gebäude und Umgebung, Landschaft und Innenraum, Baustoff und Oberfläche für uns sichtbar macht.

Heutige Bauten sind oft Monumente der Selbstdarstellung. Heutige Bauten sind oft sehr laut. Sie feilschen um das Be-achtet- und Be-trachtet-Werden, aber kaum errichtet, wirken sie oft vorgestrig. Der visuelle Verschleiß wohnt dem Gestalt gewordenen Lauten inne.

Diese Gefahr besteht bei den Projekten von Jabornegg & Pálffy nicht. Ihre Projekte sind nicht laut, wohl aber klangvoll. Wohltemperiert in der Ausgewogenheit von Eingriff und Zulassen. Es ist eine unscharfe Grenze zwischen Gestern und Heute, die hier ihre Gestaltung zu finden trachtet, eine bisher noch nicht zur Form gedachte Grenze. Eine Grenze, wo Mathematik auf Poesie trifft.

Nicht schon beim ersten Blick erschließt sich die Tiefe aller gestalterischen Überlegungen. Angemessenheit, Kontext, Detail, Mut zu Neuem, zugleich mutiges Staunen über das Alte sind die Materialien ihrer architektonischen Auseinandersetzung mit historischen Raumgefügen. Die Arbeit mit gestalterischen Gegensätzen ist dabei wesentlicher Schwerpunkt ihrer Projekte.

Der Umbau des Stiftes Altenburg etwa erfolgte in drei Bauphasen, welche gemeinsam „einen Rahmen und Kanon bilden, der neue Eingriffe ermöglicht, ohne den vorhandenen Geist der historischen Bausubstanz auszulöschen“. Die barocke Altane wurde in einer ersten Bauphase statisch saniert und als zentraler Hauptprospekt wiederhergestellt. Im zweiten Bauabschnitt wurden für den Zugang des „Gartens der Stille“ aus dem Kaisertrakt Erschließungen und ein Lift errichtet. Die dritte Bauphase schafft mit der Einbindung des mittelalterlichen Abtshauses und der Renaissance-Mönchszellen eine räumliche Verbindung zwischen dem barocken Kaiser- und Bibliothekstrakt von Joseph Munggenast aus dem Jahr 1740.

Überlagerte Zeitschichten zeigen sich auch in der Selbstdarstellung des Architekturbüros: auf der Homepage das Bild ihres Ateliers in einem grünen Hinterhof. Lapidares Weiterverwenden von Architekturelementen. Selbstverständlichkeit. Vielleicht erkennen wir auch eine gestische Heiterkeit, ein bewusst nicht unmerkliches Understatement. Das Bild ihres verborgenen Ateliers im Altbestand erinnert an die lange Zeit unter der Wasseroberfläche eines Salzsees versunkene Steinformation der „Spiral Jetty“, einer „historischen“ Ikone der Land Art. 1970 von Robert Smithson als begehbares, künstlerisches Bauwerk errichtet – jetzt wieder aufgetaucht, sichtbar, begehbar. Vielbesucht. Anreise durch die Salzwüste in zweieinhalb Stunden. Ein Helikopter-Anflug zum Salzsee ist nicht erlaubt.

Auch neue Bauwerke sind oft Zonen der Unsichtbarkeit. Da wir nicht wissen, sehen wir auch nicht. Jabornegg & Pálffy lassen uns die Begegnung von Geschichte mit dem Alltag neu sehen.

Christian Knechtl

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2018