Traumlandschaften
Eve Heller wurde 1961 in den USA geboren und studierte in Buffalo und an der New York University. Als Kind eines österreichischen Vaters, der 1938 wegen der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrieren musste, und einer deutschen Mutter wuchs sie zweisprachig auf und studierte neben Film auch deutsche Literatur. Ihren Master of Fine Arts (MFA) erwarb sie am renommierten Bard College. Zu ihren Lehrerinnen und Lehrern zählten Peter Hutton, Paul Sharits, Tony Conrad, Peggy Ahwesh und Abigail Child.
Seit 2007 lebt Eve Heller als Frau des Filmkünstlers Peter Tscherkassky im Haus seiner Großeltern in Enzersfeld, wo sie eine Dunkelkammer und einen Schneidetisch in einem kleinen Arbeitsstudio mitbenützt. Rasch wurden Eve Hellers lyrische 16-Millimeter-Filme auch hierzulande bekannt, das Österreichische Filmmuseum widmete ihr 2007 eine Retrospektive.
Für ihre ausschließlich analog hergestellten Filme, die am Optical Printer und am Schneidetisch aus Liebe zur Haptik des Filmmaterials entstehen, braucht Eve Heller Zeit. Bloß neun kurze Filme hat sie in beinahe 40 Jahren veröffentlicht, denn sie experimentiert lange, bis sie mit den Ergebnissen zufrieden ist.
Um finanziell überleben zu können, arbeitet sie als gefragte Übersetzerin, und auch in dieser Profession ist sie äußerst genau und gilt mittlerweile als literarische Übersetzerin von Filmessays, Dialogen und Filmkommentaren. Auch dieses Sprachtalent soll hier erwähnt werden.
Ihre filmischen Gedichte zeichnet eine Flüchtigkeit aus, die man festhalten möchte, die den Blick ständig entgleiten lässt – ähnlich den klaren und doch fragmentierten Bildern eines Traums. Oft extrahiert sie ihre Szenen und Bilder aus fremdem Originalmaterial, aber auch ihr selbst gedrehtes Material verwendet sie als Quelle, die manipuliert werden kann. Mittels einer aufwendigen handwerklichen Kopiertechnik belichtet die Filmkünstlerin die Filmstreifen bis hin zum Einzelkader neu und entwickelt sie dann selbst in der Dunkelkammer. Sie verlangsamt das Ausgangsmaterial, vergrößert Details, nimmt bisweilen die Farbe heraus, macht Doppel- und Dreifachbelichtungen und legt latente Inhalte der ursprünglichen Dramaturgie frei. Einen Jahrmarktfilm der 1940er-Jahre von Coney Island („Last Lost“, 1996) verwandelt Heller in eine surreale melancholische Erzählung über trügerische Unterhaltungsangebote. Die Landschaften eines Traums mit seinen bizarren Assoziationsmöglichkeiten destilliert sie aus wissenschaftlichen Filmen für den wunderbaren „Her Glacial Speed“ (2001). Ähnlich der Cut-up-Methode von William Burroughs zerstückelt Heller humorvoll einen alten Lehrfilm über den kreativen Gebrauch von Sprache in „Ruby Skin“ (2005).
Selbst in ihrem semidokumentarischen Film „Astor Place“ (1997) – aufgenommen mit versteckter Kamera durch das verspiegelte Schaufenster eines Cafés – findet sich dieser lyrische Aspekt. Die vorbeidefilierenden Passanten scheinen einer verborgenen Choreographie zu gehorchen, als wären sie Teil einer geheimnisvollen Inszenierung. „Behind This Soft Eclipse“ (2004) wiederum pendelt mit komplex verschachtelten Aufnahmewinkeln zwischen den parallelen Welten von Tag und Nacht, positiven und negativen Bildern, festem Boden und unter Wasser. Hier präsentiert sich die Filmemacherin endgültig als eine Zauberin des Lichts.
Mittlerweile besteht die Sammlung Eve Hellers aus vielfältigen Lehrfilmen zu unterschiedlichen Themen. „Creme 21“ (2013) – ein Film über das Phänomen Zeit und die Unmöglichkeit der wissenschaftlichen Betrachtung derselben – erteilt sämtlichen didaktischen Versuchen, das Wesen der Zeit zu ergründen, eine Abfuhr. Nach einem stummen Vorspiel breiten sich ein fragmentierter Klangteppich und diverses farbenprächtiges Filmmaterial aus, das lustvoll und kühn verschachtelt ist, eine lineare Zeitlichkeit außer Kraft setzt. Ihr letzter Film wurde bereits von der Vermittlungsagentur Sixpackfilm in die Welt geschickt und nach seinen Premieren bei der Viennale und dem New York Film Festival zu insgesamt 25 hochkarätigen Festivals eingeladen. Darüber hinaus nahm Eve Heller an zahlreichen Retrospektiven und Masterclasses teil, vom Pariser Louvre über das Filmmaker Festival in Mailand bis zum Festival de Cine Europeo in Lima.
Brigitta Burger-Utzer