An der Grenze der menschlichen Wahrnehmungsgrenze
Der Kulturpreis für Medienkunst ist bewusst auch jenen Kunstformen gewidmet, die die Grenzen von Fachdisziplinen überschreiten. Anerkennung der künstlerischen Leistungen wurde einer der Anerkennungspreise für Medienkunst in diesem Jahr Franz Pomassl zuerkannt. Franz Pomassl, geboren am 22. November 1966 in Gföhl, (Eisenbergeramt), wohnhaft in Jaidhof (NÖ), ist einer der wichtigsten österreichischen Künstler im Bereich der elektroakustischen Musik. Der gelernte Installateur beschäftigte sich nach Studien an der Akademie der bildenden Künste bei ArnulfRainer (Malerei) unter anderem an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien mit Elektroakustik und experimenteller Musik. Er tritt als Medienkünstler auch immer wieder in Kooperation mit bildenden Künstlern auf, deren Arbeiten er zu audiovisuellen Installationen erweitert. „Ein Gespräch per Fax zwischen Franz Pomassl und Katarina Matiasek im September 1999″ soll (in einer gekürzten Fassung) einen Eindruck von den Besonderheit des grenzüberschreitenden künstlerischen Schaffens vermitteln: K.M.: Deine künstlerische Arbeit scheint auf den ersten Blickin zwei unterschiedliche Richtungen vorzustoßen: einerseits erforschst du die maschinenimmanenten Möglichkeiten von Klang, indem du etwa mittels eigens entwickelter Gerätschaften oder selbstreplizierender Computeralgorithmen Töne generierst und nachbearbeitest, ganz im Sinne einer von David Toop als post-human beschriebenen Richtung von Sound Art. Andererseits interessieren dich die körperimmanenten auditiven Wahrnehmungsgrenzen des Menschen, die duz. B. mit Tönenjenseits der Hörgrenze auslotest und damit Klangerfahrung aufsubsymbolische und sehr alte sensorische Systeme ausdehnst. Wie greifen diese Grenzgänge in deinen Projekten ineinander? F.P.: Ein Ansatz meiner Arbeiten ist es, auf das gesamte auditive Wahrnehmungssystem des menschlichen Körpers zu zielen – denn wir registrieren akustische Informationen, also Schwingungen, Vibrationen, nicht nur mit dem Ohr. Diese wirken auf das audiotaktile System mit all seinen Sensoren und Membranen, aufdie ganze Oberfläche der Haut und der inneren Organe. Der gesamte menschliche Körper als Hörorgan. Eine Operation an der Schwelle der menschlichen Wahrnehmungsgrenzen bedeutet auch, an die äußersten Grenzen dertechnischen Kapazitäten vorzustoßen. In meinem Projekt itt (Infrasonic Transmission TubeTTM), das 1996 zusammen mit Laton realisiert wurde, treffen genau diese entscheidenden Elemente aufeinander: zum ersten Mal wurde in einem musikalischen Konzept ausschließlich Infrasound eingesetzt, und hierfür war es notwendig, ein eigenes Instrument zu entwickeln. ( … ) Hier kann vonAudiotaktiler Musik gesprochen werden, hier wird bewusst das Spektrum des Ohres ausgespart. Ich sehe dies als in einer konsequent radikalen Tradition stehend, die ihren Anfang in Luigi Russolos Manifest Die Kunst der Geräusche von 1913 fand und eine künstlerische Emanzipation des Geräusches gegenüber der Musik begründete. Für avancierte Kompositions- und Aufführungspraktiken aber wichtiger als Russolos Angliederung des Geräusches in den Klangraumwar, EdgarVareses Befreiung des Klangs, worin er die Emanzipation des Schalls propagierte, und zwar schon 1922. Ständig neuen Klängen und Instrumenten aufder Spur, suchte er die Zusammenarbeit mit Elektronikern der ersten Stunde, wie etwa mit Rene Bertrand oder mit Leon Theremin.( … ). Die digitale Samplingmaschine verkörpert geradezu das Ideal dieser Schule. K.M.: Du hast wiederholt das Primat des Ohres über die anderen Sinne hervorgehoben, die Hörerfahrung neu zu definieren versucht und betrachtest das Geräusch als die ,,Mutter aller Informationen“. Welche Rolle spielen hierbei nun deine diversen Zusammenarbeiten mitbildenden Künstlern, so mit Peter Kogler, Heimo Zobernig oder Marcus Geiger? F.P.: Wir befinden uns ja im visuellen Zeitalter, gerade das vergangenen Jahrhundert wird sich als solches in die Geschichte einschreiben. Aber die Bilderwelt hat sich ausgelaugt: die Bilderflut der Werbung, die bis zum äußersten beschleunigten Videobilder der Clipkultur (MTV) – das zieht automatisch bnützungserscheinungen nach sich, wie etwa die zunehmende Ausgereiztheit der Bildenden Kunst. Ich glaube, dass die Potentiale der Zukunft im auditiven Bereich liegen, inklusive all semer Medien, in den unausgeschöpften Möglichkeiten des Hörsinns. …)Bei den ooperationsprojekten geht es vor allem um eine Intensivierung und Komprimierung der Ereignisse, um die Wechselwirkungen im Spannungsfeld verschiedener Positionen und Medien. Ein aktuelles Beispiel ist meine Zusammenarbeit mit Peter Kogler für das ,,Ars Electronica Center“ in Linz: für diese permanent begehbare Installation Cave habe ich analog zu der Struktur eines virtuellen 3D-Modells akustische 3D-Räume und -architekturen entworfen. Audio-Rendering-Pipelines intensivieren entscheidend die Plastizität der Applikation. Die Besucherinnen dieses auditiven 3D-Environments bestimmen durch ihre Positionierung und Bewegungsdynamik im visuellen Objekt die interaktiven Soundsynthesen mit. K.M.: Deine intensive internationale und intermediale Ausstellungstätigkeit geht seit Jahren von einem kleinen Tonstudio in der niederösterreichischen Peripherie aus. Du erscheinst damit geradezu als Musterschüler der aktuellen Forderung nach einer dezentralen Globelkultur – wie gut funktioniert das in der Praxis? F.P.: Das lässt sich ganz gut anhand einer Entwicklung innerhalb der Musikwelt der letzten Jahre ablesen: Musik hat sich von ihrem ursprünglich verorteten, lokalen Kontext befreit, und heutige Musikproduktionen sprechen eine globale Sprache von universeller Verständlichkeit. Hierbei spielt das weltweite Kommunikationsnetzwerk Internet eine entscheidende Rolle. Meine Studioeinheit mit derselben Infrastruktur könnte an jedem beliebigen Ausgangspunkt der Erde angelegt sein, um 1: 1 zu funktionieren.