Isolde Kerndl

Volkskultur und Kulturinitiativen
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Sanfte Spitzen

Ein Gasthofsaal im Waldviertel. Er ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Zuerst lesen zwei Autorinnen – und da ich eine davon war, kann ich es rundheraus sagen: Wir sind die geduldete Vorgruppe. Alle warten auf Isolde Kerndl. Sie kommt in den Saal, setzt sich, ohne das geringste Aufheben um ihre Person zu machen, und beginnt zu lesen.

WO DE ZEIT KOA TÜR HÅT
unta meina Hollastaudn
håt de Zeit koa Tür.
durtn sitz’ i månche Stund’,
håb’ koan Riegl viar.
unta meina Hollastaudn
is de Welt im Lot,
und i tram de schenste G’schicht’,
håb damit koa Not.
wånn im Herbst de Been voll Såft,
woaß i’s dånn gånz g’wiss,
dass a Ruahwigs Zeitvageh’
a nix Schlimmes is.

Von der ersten Minute an weiß sie das Publikum an sich zu fesseln: sanfte Spitzen, lakonische Betrachtungen, Gemütvolles in der richtigen Dosis, Wahrheit und Humor – der Dialekt verdichtet die Sprache. Und Isolde Kerndl weiß damit meisterhaft umzugehen. Sie ist – auch wenn sie selbst das vielleicht unpassend findet – die Grande Dame der Mundartdichtung.

Unzertrennlich ist sie mit dem Waldviertel verbunden. Doch geboren wurde sie in Wien, aufgewachsen ist sie im Wienerwald. Eine Freundin aus Groß Gerungs, die gemeinsam mit ihr die Lehrerausbildung in Wien absolvierte, brachte sie erstmals ins Waldviertel. „Wer da nicht zum Dichter wird, dem ist nicht mehr zu helfen“, so Kerndl. Zuvor war ihre erste Anstellung als Landwirtschaftslehrerin in Hollabrunn, 1963 wurde sie an die Landwirtschaftliche Berufsschule Groß Gerungs berufen, wo sie 1989 Direktorin wurde. 1994 wurde die Berufsschule Groß Gerungs an den Standort der Landwirtschaftlichen Fachschule nach Edelhof bei Zwettl verlegt, wo Isolde Kerndl in leitender Position bis zu ihrer Pensionierung blieb.

Isolde Kerndl heiratete und bekam fünf Kinder, und „wo man Kinda geborn hat, is ma dahoam“. Dieses Daheim ist Langschlag, wo sie rundum aktiv ist.

Seit 1960 ist sie schriftstellerisch tätig und schreibt bevorzugt Lyrik und Kurzgeschichten. Für die Buchillustrationen arbeitet sie seit Beginn mit Waldviertler Künstlern zusammen. Im Jahr 1988 hat sie das erste Buch gemeinsam mit dem Maler Hannes Fessl herausgegeben. „Alleine hätt ich das nie gemacht. Wir haben 2.000 Exemplare drucken lassen und geglaubt, wir werden das nie anbringen. Heute sind mehrere Auflagen vergriffen“, so die Autorin in einem Interview. Nach dem Tod von Fessl arbeitete sie mit dem Zwettler Maler Karl Moser zusammen, ihre Autobiografie „S’nåckerte Leb’n“ ist mit Bildern ihrer Tochter Sigrid Schübl erschienen. Mit Fotografien von Georg Fessl, dem Großneffen von Hannes Fessl, hat sie das Buch „Aus’n hintersten Eck und da vordersten Reih“ veröffentlicht.

Neben Mundartgedichten gibt es Theaterstücke, Hörbücher und die Waldviertler Mundartmesse, komponiert von Elfi Klinger.

Bleiben wir bei der Musik. Als Musikstudenten Isolde Kerndl lesen hörten, traten sie an sie heran, um gemeinsam zu arbeiten. „Die jungen Buam und die alte Kerndling“, so die Lyrikerin, und dieses Projekt zwischen Jung und Alt sind Mundarttexte, vertont von der Waldviertler Gruppe Stoahoat & Bazwoach. Ihr ist es wichtig, dass Mundart nicht museal ist, und bei der Zusammenarbeit mit den Musikern wird der reiche Schatz des Waldviertler Dialekts an ein junges Publikum getragen.

Im Jahr 2018 gab es ein „Stoahoat Reloaded“, im Zuge einer kleinen Waldviertel-Tour durften Klassiker wie „Unsa Dorf“, „Scheiwalbocha“, „Kunstdungkunst“ und „De echt’n Weana“ nicht fehlen. Auch Isolde Kerndl stand mit auf der Bühne.

Mit Understatement, wie es ihre Art ist, beschreibt sie sich gerne als „Totntafldichter“, so nennt sie Gebrauchsliteratur für Anlässe wie Begräbnisse, Hochzeiten und Geburtstage. Jetzt steht ein besonderer Anlass an – die Verleihung des Kulturpreises. Und wir sind uns recht sicher, dazu werden ihr ein paar treffsichere Zeilen einfallen …

Mella Waldstein

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 2018