Johannes Wolfgang Paul

Literatur

Die Liebe als Biotop

Das schwere Holztor zu J.w. Pauls Anwesen in der Langen Zeile in Röschitz öffnet, der sieht sich im schmalen, weißgetünchten Hof in eine üppig wuchernde botanische Oase mit mediterranem Flairversetzt. Fernjedes kleinbürgerlichen Behübschungszwangs entfalten sich hier wahre Prachtexemplare von Kirschlorbeer, Oleander, Hibiscus, Feigenbäumen, sizilianischen Kakteen, Mandelbäumen sowie anderen exotisch anmutenden Gewächsen. Die Hausmauer entlang ranken sich im sattesten Orange die Blütentrompeten der brasilianischen Teeoma. Dunkelrotundblau leuchtet das in Branntwein angesetzte Beerenobst vom Küchenfenster im Obergeschoß herab. Hier hat J.W. Paul, Schriftsteller, Hobbyagronom und diesjähriger Würdigungspreisträger für Literatur mit eigener Hände Arbeit für sich und Lebensgefährtin Amneris ein Refugium, ein Tusculum eingerichtet. Ein ehemaliges Winzerhaus, 1980 in ruinösem Zustand erworben, wurde ihm Zentrum eines permanenten, vitalen Schaffensprozesses. Der heute Fünfzigjährige bekennt sich nicht ohne Stolz als klassischen Überrest der 68er-Generation, dem idealistische Ziele im Gegensatz zu vielen anderen nicht abhanden gekommen sind. Sein Herz schlägt noch immer links. Bürgerlichem Establishment und opportunistischerAnpassung hat er sich stets hartnäckig verweigert. Obwohl leiblichen Genüssen keineswegs abhold, mutet J.W. Pauls streng geregelter Tagesrhythmus nahezu monastisch an: Mit dem ersten Hahnenschrei beginnt das literarische Tagewerk, denn am frühen Morgen und vormittags fließt die poetische Ader am ergiebigsten. Das selbst zubereitete Mittagmahl aus biologisch reinem Eigenbau wird zusammen mit Amneris – sie ist Volksschuldirektorin im Nachbarort – eingenommen. Nach dreistündiger Siesta werden für den Rest des Tages Haus, Hof und Garten versorgt. Die Nachtruhe beginnt mit Einbruch der Dunkelheit. Urlaub gibt es nur im Winter: zwei bis drei Wochen ,poetische Exerzitien“ in Süditalien. Der 1949 in Bad Vöslau Geborene studierte in Wien Klassische Philologie und Philosophie, erwarb 1974 den Magistertitel und unterrichtete von 1972 bis 1975 als AHS-Lehrer am BG Waidhofen an der Thaya, nach längerer Unterbrechung dann 1987 bis 1990 am BG Horn. Stets vom Zwiespalt zwischen der Berufung zum Pädagogen und den schon früh vorhandenen schriftstellerischen Ambitionen belastet, löste er sich schließlich gänzlich vom Lehrberuf und entschied sich für das risikoreiche Leben als freischaffender Autor. Ab 1977 hat sich J.W. Paul zunächst auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratureinen Namen gemacht. Vor allem seine Papa-Bücher („Mein unverbesserlicher Papa“, ,,Neues von meinem unverbesserlichem Papa“, „Papa, wen hast zu lieber?“), in denen die Familie sehr realistisch und zugleich humorvoll als kleiner Kosmos von Individualisten dargestellt wird, erwiesen sich als Bestseller und erfreuen sich nicht nurbei Erstlesern großer Beliebtheit. Weitere erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher waren die Kriminalromane „Der Baum des Verräters“ (1977) und „Abt Ebros Schatz“ (1981) sowie die liebenswürdigen Tiergeschichten um die Schafe „Ami und Wasch]“ (1992) und die Katzen „Tatzl und Kratzl“ (1994). „Spitze, Oma!“ (1987), „Hallo, Mama!“ (1994) und „Immer diese Mama!“ (1995) verstehen sich als Pendant zur Papa-Serie. Als exzellenter Lyriker ist J.W. Paul freilich nur einem kleinen Kreis literarischer Insider bekannt. Nach zwei frühen, im Grasl-Verlag erschienenen Bänden „in den scheren des krebses“ (1978) und „hausbrot“ (1984) hat sich vor allem die Edition Thurnhof in Horn mit besonderer Sorgfalt des Röschitzer Lyrikers angenommen: „erdrauch“ (1986), „befunde“ (1994) und „ovale“ (1997), graphisch ansprechend gestaltet mit Offsetlithographien von Norbert Schröckenfuchs, Karl Korab und Karl Mostböck. Die lebensbedrohende Krise durch einen Schlaganfall wurde zum Auslöser für den Gedichtzyklus ,,gehirnschlag“ ( 1998, Edition Thurnhof). Es ist der berührende Bericht eines Zurückgekehrten, der unterwegs war in einem vagen Grenzbereich, verschollen im Drüben, in einer hellenisch anmutenden Schattenwelt: unaufhörlich flutete ich durch das graugrüne flußtal vorbei an unzähligen unfruchtbaren bäumen aber kein vogel sang nichts rotes leuchtete kein wortfiel in den graublauen talgrund Seit der Überwindung dieses Traumas und seiner völligen Wiedergenesung ist J.W. Pauls lyrische Produktivität verstärkt in Fluß geraten, deutlich sichtbar am großformatigen, in der Literaturedition Niederösterreich erschienenen Band „Amneris“ (1998) mit vier Gedichtzyklen: fadosalina – marianske lazne bitonto. Die zunächst fremdartig klingenden Titel verweisen aufMadeira, die Äolischen Inseln, das nördliche Nachbarland Böhmen und Apulien; Räume, in denen sich die Inspiration des Autors offenbar besonders beglükkend zu entzünden vermag. „Liebe ist das Biotop, aus dem die meisten meiner Gedichte kommen“, so kommentiert J.W. Paul sein primäres Schaffensmotiv, wobei er bemüht ist, mit größtmöglicher sprachlicher Präzision ,,das Gesehene ins Geschaute umzusetzen“. Die in kompromißloser Kleinschreibung verfaßten Prosagedichte sind reine Erlebnislyrik. Der unwiederholbare Augenblick, bei ,poetischen Pirschgängen“ gespeichert, wird als Auslöser assoziativer Vernetzungen von Außen- und Innenwelt zum sparsamen Kürzel, zum Vers verdichtet. Seine Naturbilder sind von echter und ehrlicher Dingtreue, scharfund klar gemeißelt, niemals vage und verschwommen: wildfütterung gras ragt aus knöchelhohem korn süß überduftet das heu die faulenden blätter mit nässenden fraßtrichtern warzen die zuckerrüben den weg das lecksalz glänzt blaurot in der klemmeringsum lauern die hochstände (Aus augenschein“, 1999)Die nächsten drei Gedichtbände (,,augenschein“, „mergel“, „sägeblätter“) sind bereits in Druck und sollen im heurigen Herbst erscheinen.J.W. Pauls Sensibilität für die subtile Welt des Verses ist auch abzulesen an der meisterlichen Übersetzung von W. H. Audens „Poem Kirchstettner Gedichte“ (NÖ Pressehaus, 1983). Eine Laudatio auf J.W. Paul wäre unvollständig, ließe man seine jahrzehntelange Tätigkeit als einen der eifrigsten Autoren der leider nunmehr eingestellten Niederösterreichischen Kulturberichte unerwähnt. Vor allem die bereits 1981 begonnene Serie,,Unbekanntes Nachbarland-Streifzüge durch Böhmen und Südmähren“ weisen ihn als Pionier kulturjournalistischer Grenzüberschreitung aus! In Johannes Wolfgang Paul würdigt das Land NiederösterreichWerkund kulturelle Leistung eines Schriftstellers, dessen subtile Sprachqualität in vierfacher Weise Früchte trägt: als erfolgreicher Kinderund Jugendbuchautor, als exzellenter Lyriker, als einfühlsamer Übersetzer und als seriöser Journalist.

Diese Textpassage stammt aus der Kulturpreis-Broschüre von 1999